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Wilhelm Höttl: Eidesstattliche Erklärung

Wilhelm Höttl, 1945
Wilhelm Höttl, 1945

26.11.1945

Ich, Wilhelm Hoettl, sage hiermit unter Eid aus:

Meine Name ist Dr. Wilhelm Hoettl, SS-Sturmbannfuehrer (Major der SS). Meine Beschaeftigung bis zum deutschen Zusammenbruch war die eines Referenten und stellvertretenden Gruppenleiters im Amte VI des Reichssicherheitshauptamtes.

Das Hauptamt VI des RSHA war das sogenannte Auslandsamt des SD und beschaeftigte sich mit dem Nachrichtendienst in allen Laendern der Erde. Es entspricht etwa dem englischen Intelligence Service. Die Gruppe, der ich angehoerte, beschaeftigte sich mit dem Nachrichtendienst im Südosten Europas (Balkan).

Ende August 1944 unterhielt ich mich mit dem mir seit 1938 bekannten SS-Obersturmbannfuehrer Adolf Eichmann. Die Unterhaltung fand in meiner Wohnung in Budapest statt.

Eichmann war zu diesem Zeitpunkte nach meinem Wissen Hauptabteilungsleiter im Amte IV (Gestapo) des Reichssicherheitshauptamtes und darueber hinaus von Himmler beauftragt, in allen europaeischen Laendern die Juden zu erfassen und nach Deutschland zu transportieren. Eichmann stand damals stark unter dem Eindruck des in diesen Tagen erfolgten Kriegsaustrittes Rumaeniens. Deswegen war er auch zu mir gekommen, um sich ueber die militaerische Lage zu informieren, die ich taeglich vom Ungarischen Honved-(Kriegs)Ministerium und dem Befehlshaber der Waffen-SS in Ungarn bekam. Er gab seiner Ueberzeugung Ausdruck, daß der Krieg nunmehr fuer Deutschland verloren sei und er damit fuer seine Person keine weitere Chance mehr habe. Er wisse dass er von den Vereinigten Nationen als einer der Hauptkriegsverbrecher betrachtet wuerde, weil er Millionen von Judenleben am Gewissen habe.

Ich fragte ihn, wieviele das seien, worauf er

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anwortete, die Zahl sei zwar ein grosses Reichgeheimniss, doch wuerde er sie mir sagen, da ich auch als Historiker dafuer Interesse haben muesste und er von seinem Kommando nach Rumaenien wahrscheinlich doch nicht mehr zurueckkehren wuerde. Er habe kurze Zeit vorher einen Bericht fuer Himmler gemacht, da dieser die genaue Zahl der getoeteten Juden wissen wollte. Er sei auf Grund seiner Informationen dabei zu folgendem Ergebniss gekommen:

In den verschiedenen Vernichtungslagern seien etwa vier Millionen Juden getoetet worden, waehrend weitere zwei Millionen auf andere Weise den Tod fanden, wobei der Grossteil davon durch die Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei waehrend des Feldzuges gegen Russland durch Erschiessen getoetet wurden.

Himmler sei mit dem Bericht nicht zufrieden gewesen, da nach seiner Meinung die Zahl der getoeteten Juden groesser als 6 Millionen sein muesse. Himmler hatte erklaert, dass er einen Mann von seinem statistischen Amt zu Eichmann schicken werde, damit dieser auf Grund des Materials von Eichmann einen neuen Bericht verfasse, wo die genaue Zahl ausgearbeitet werden sollte.

Ich muss annehmen, dass diese Information Eichmanns mir gegenueber richtig war, da er von allen in Betracht kommenden Personen bestimmt die beste Uebersicht ueber die Zahl der ermordeten Juden hatte. Erstens "lieferte" er so-zu-sagen durch seine Sonderkommandos die Juden zu den Vernichtungsanstalten und kannte daher diese Zahl genau und zweitens wusste er als Abteilungsleiter im Amte IV des RSHA, der auch fuer die Judenangelegenheiten zustaendig war, bestimmt am besten die Zahl der auf andere Weise umgekommenen Juden.

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Dazu kam, dass Eichmann zu diesem Augenblick durch die Ereignisse bestimmt in einer solchen seelischen Verfassung war, dass er gar nicht die Absicht hatte, mir etwas Unwahres zu sagen.

Ich selbst weiss die Einzelheiten dieses Gespraches deswegen so genau, weil es mich erklaerlicher Weise sehr bewegt hatte und ich auch bereits vor dem deutschen Zusammenbruch naehere Angaben darueber an eine amerikanische Stelle im neutralen Ausland machte, mit der ich zur diesem Zeitpunkte in Verbindung stand.

Ich schwoere, dass ich die obigen Angaben freiwillig und ohne Zwang gemacht habe, und dass die obigen Angaben nach meinem besten Wissen und Gewissen der Wahrheit entsprechen.

Dr. Wilhelm Hoettl.

In meiner Gegenwart, am 26th November 1945, in Nuernberg, Deutschland, beschworen und eigenhandig unterzeichnet.

Frederick L. Felten
Lieutenant U.S.N.R.

Quelle:

  1. Der Nürnberger Prozess, Urkunden und anderes Beweismaterial
    Delphin-Verlag, München 1989
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