3.10.1939

Tagebuch Generaloberst Ritter von Leeb

Generaloberst Ritter von Leeb
Generaloberst Ritter von Leeb

3. Oktober 1939: Aussprache mit Generaloberst von Brauchitsch [Oberbefehlshaber des Heeres] allein. Meine Meinung: schlechte Stimmung der Bevölkerung, keinerlei Begeisterung, keine Beflaggung der Häuser, alles erwartet den Frieden. Das Volk fühlt das Unnötige des Krieges. Wir Soldaten wissen ja aus der Besprechung Obersalzberg [22.8.1939], daß der Führer diesen Krieg gewollt hat.

Alles deutet darauf hin, daß der Führer einen Angriff durch Belgien-Luxemburg, vielleicht Südteil Holland beabsichtigt. Der Franzose ist aber nicht zu überraschen. Er weiß genau, wenn der Deutsche angreift, muß er durch Belgien. Die Franzosen haben ca. 60 Divisionen operativ frei. Überraschung nicht möglich. Unsere Blutopfer werden unendlich groß sein, und der Franzose wird doch nicht niedergerungen werden können. Ein Angriff gegen Frankreich wird nicht wie der Angriff gegen Polen geführt werden können, sondern langwieriger und äußerst verlustreich sein. Leider wird ja das Friedensangebot des Führers so sein, daß es die Engländer nicht annehmen werden. Darauf hat es der Führer wohl abgesehen. Wenn er dann angreifen will, dann tut er das, was die Franzosen sich wünschen, da sie dann selbst nicht anzugreifen brauchen.

Brauchitsch ist meiner Auffassung. Führer nicht leicht zu beeinflussen. Außerdem steht Brauchitsch immer allein, die anderen beiden tun meist nicht mit, obwohl Göring [Oberbefehlshaber der Luftwaffe] absolut für den Frieden ist. Brauchitsch hält den Entschluß anzugreifen oder nicht anzugreifen für eine Nervenprobe. Er hofft, daß der Führer die Nerven behält, den anderen den Angriff und die Neutralitätsverletzung zuzuschieben. Er hofft, wenigstens eine Entschlußfassung bis zum Frühjahr hinausschieben zu können.

Quelle:

  1. Hans-Adolf Jacobsen
    Der Weg zur Teilung der Welt
    Koblenz/Bonn, 1977, S. 55f
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