Dieter Wisliceny

Aussage am 18.11.1946 in Bratislava

[In der Quelle sind nur die Abschnitte I. bis V. abgedruckt.
Die Fußnoten sind hier nicht übernommen.]

I.
Die Bearbeitung der jüdischen Probleme durch die Sicherheitspolizei und den SD bis 1939

Bis zum Jahre 1936 fand eine wirkliche Bearbeitung jüdischer Fragen durch den Sicherheitsdienst und der Geheimen Staatspolizei nicht statt. Das Sachgebiet "Judentum" gehörte bis Ende 1936 innerhalb des SD-Hauptamtes zum Referat "Freimaurerei" und wurde kaum behandelt. Lediglich ein alter russischer Emigrant, "Professor" Schwartz-Bostumitsch, galt als Sachkenner und verfaßte 1935 ein antisemitisches Tendenzbuch unter dem Titel "Jüdischer Weltimperialismus". Die Priorität lag in dieser Frage ausschließlich in den Händen der Partei und ihres Propagandaapparates. Erst durch die Errichtung eines eigenen "Juden-Referates" beim SD-Hauptamt im Herbst 1936 änderte sich die Lage. Der damalige Referatsleiter von Mildenstein war ein sehr guter, sachlicher Kenner aller innerjüdischen Probleme. Das Hauptgewicht der Bearbeitung lag auf dem Zionismus und den Auswanderungsfragen. Durch die antijüdischen Maßnahmen der Reichspolitik war bei dem überwiegenden Teil der in Deutschland lebenden Juden, namentlich unter der jüngeren Generation, eine starke Auswanderungsbereitschaft vorhanden. Die bestehenden jüdischen Organisationen bemühten sich mit geringem Erfolg, diese Auswanderung zu organisieren und durch Umschulung vorzubereiten. Von seiten der Reichsbehörden geschah nichts, um die Auswanderung zu erleichtern, im Gegenteil, durch die deutsche Devisengesetzgebung und andere verwaltungsmäßige Schwierigkeiten wurde diese immer stärker behindert. Dazu kam noch, daß ein großer Teil der für eine Auswanderung in Frage kommenden Länder, besonders Nord- und Südamerika, sich immer stärker einer Einwanderung verschlossen. In einer Reihe von Denkschriften wies Mildenstein auf diese Situation hin und forderte Himmler auf, sich stärker in diese Frage einzuschalten und die Lösung des jüdischen Problems in Deutschland in einer weitgehenden Auswanderung zu suchen. Die sonstige Arbeit des "Judenreferats" fand ihren Niederschlag in einer von Heydrich unter dem Pseudonym "Dieter Schwarz" herausgegebenen Broschüre "Die jüdischen Weltorganisationen" (1938). Verfasser dieser Schrift, die im Eher-Verlag erschien, waren Professor F.A. Six, Amtschef im SD-Hauptamt, und der Referatsleiter Herbert Hagen. Erst 1938 fand die Forderung nach einer Erleichterung der jüdischen Auswanderung ihren ersten Niederschlag bei der Besetzung Österreichs. Auf Vorschlag Eichmanns, der aus dem Judenreferat des SD-Hauptamtes hervorgegangen war, erfolgte in Wien unter starker persönlicher Einschaltung von Heydrich die Gründung der "Zentralstelle für jüdische Auswanderung". Sie stellte eine Zusammenfassung aller an der Genehmigung der Auswanderung beteiligten Behörden in einem Amt dar. Auch die jüdischen Vereinigungen, in Wien die Kultusgemeinde und die zionistische Organisation, waren stärkstens eingeschaltet. Jüdische Persönlichkeiten wie Staffer, Löwenherz, Professor Neumann u. a. wurden ins Ausland geschickt, um Einwanderungsmöglichkeiten und Devisen aufzutreiben. Die Auswanderung nach Palästina wurde zu diesem Zeitpunkt noch als außerhalb deutscher lnteressensphären liegend betrachtet und daher gefördert. Durch die Tätigkeit dieser Zentralstelle wanderten bis 1939 über 100 000 Juden aus Österreich aus. Nach der Besetzung der CSR gründete Eichmann im Auftrage Heydrichs in Prag eine ähnliche Dienststelle, das "Zentralamt zur Lösung der Judenfrage in Böhmen und Mähren", dessen Tätigkeit sich in den wenigen Monaten bis zum Ausbruch des Krieges nicht in dem Maße auswirken konnte wie die "Zentralstelle" in Wien. Die von Himmler und angeblich auch von Hitler gebilligte Linie hieß damals "Auswanderung der Juden um jeden Preis". Die Einschaltung Heydrichs in die Judenfrage beschränkte sich bis zum Sommer 1939 auf Österreich und Böhmen/Mähren. Im Reichsgebiet blieb die alte Lage zunächst bestehen. Bei der Gründung des "Reichssicherheitshauptamtes", der organisatorischen Zusammenfassung von SD und Staats- und Kriminalpolizei, berief Heydrich den bei ihm in höchster Gunst stehenden Eichmann nach Berlin und übergab ihm das "Judenreferat", IV B 4, im RSHA mit dem Auftrag, wie in Wien und Prag eine ähnliche Organisation für das gesamte Reichsgebiet aufzubauen. Der Ausbruch des Krieges, die schnelle Besetzung Polens und Hitlers Entschluß, die polnischen Gebiete zu annektieren, schufen eine völlig neue Situation und brachten neue Konsequenzen.

II.
"Der Madagaskar-Plan" (1939 - 1941)

Durch die Besetzung Polens im September 1939 kamen über 3 Millionen Juden in die deutsche Machtsphäre. Eichmann, der gerade kurz vorher sein Amt in Berlin angetreten hatte, faßte den Plan, die Juden aus dem Reichsgebiet, dem "Protektorat" und Österreich ebenfalls nach Polen abzuschieben, in der Annahme, daß die polnischen Gebiete über kurz oder lang doch wieder ein selbständiges Staatswesen würden. So organisierte er rasch ein Durchgangslager in Niszko am San und begann Juden aus Wien, Brünn und Mährisch-Ostrau nach dorthin abzuschieben. Gleichzeitig organisierte er die Abschiebung der Juden aus Posen und Westpreußen nach Zentralpolen. Diesen Transporten schloß er stillschweigend auch Juden aus Stettin und Pommern an. Die Ausrufung des "Generalgouvernements" als Teil des Reichsgebietes und ein Protestschritt des Generalgouverneurs Frank bei Göring machten dieser Tätigkeit Eichmanns im Dezember 1939 ein Ende. Er wandte sich wieder den alten Auswanderungsplänen zu, wobei er jetzt in seine Berechnungen das polnische Judentum einbeziehen mußte. Es war klar, daß Palästina niemals in der Lage sein würde, die etwa 3 1/2 Millionen Juden aus Deutschland, Polen, CSR und Österreich aufzunehmen. Hinzu kam noch, daß auf italienischen Einfluß hin die Gründung des palästinensischen Judenstaates deutscherseits als unerwünscht mit Rücksicht auf arabische Forderungen betrachtet wurde. Trotzdem fand bis Ende 1940 noch eine Abwanderung nach Palästina aus dem Reichsgebiet statt, so z. B. September 1940 Transporte der Juden aus Danzig über Bratislava-Donau-Rumänien. Erst 1941 verbot Himmler die Palästinaauswanderung. Als Aufnahmeland für eine Massenauswanderung wurde von Eichmann die Insel Madagaskar in Betracht gezogen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Erfindung von Eichmann. Madagaskar war als Auswanderungsziel häufig diskutiert worden, selbst Theodor Herzl hatte sich mit diesem Gedanken befaßt. 1937 hatte die französische Regierung eine Kommission dorthin entsandt, der auch jüdische Vertreter angehört hatten, um die Möglichkeit einer Besiedlung der Insel durch Europäer zu prüfen. Der rasche Sieg über Frankreich im Mai 1940 gab diesem Gedanken neuen Aufschwung. Ganz allgemein erwartete man ein baldiges Kriegsende. In einer ausführlichen Denkschrift schlug Eichmann, von Heydrich nachdrücklich unterstützt, Himmler die Insel Madagaskar als Umsiedlungsgebiet für das gesamte europäische Judentum vor. Dieser Vorschlag fand die Zustimmung Himmlers und Hitlers. Eichmann wurde beauftragt, einen genauen Plan auszuarbeiten. Er besorgte sich hierfür Unterlagen aus dem französischen Kolonialministerium in Paris, insbesondere die Jahresberichte der Generalgouverneure und die Untersuchungsergebnisse der vorerwähnten Kommission. Gleichzeitig zog er Fachleute aus der Schiffahrt zu Beratungen heran, um das Transportproblem zu lösen. Die Transporte sollten durch eine Arbeitsgemeinschaft von Hapag und Norddeutscher Lloyd organisiert werden unter Zugrundelegung verschiedener europäischer Einschiffungshäfen. Bei einem Friedensschluß sollte Frankreich gezwungen werden, Madagaskar als "Judenkolonie" herzugeben, und die europäischen Staaten sollten aufgefordert werden, einer Konvention beizutreten und sich dieser Umsiedlungsaktion anzuschließen. Hierzu waren folgende Voraussetzungen nötig:

1. Die Juden in den einzelnen Ländern mußten von den von ihnen bevorzugten intellektuellen Berufen auf handwerkliche und landwirtschaftliche Berufe umgeschult werden.

2. Das jüdische Vermögen mußte nach Möglichkeit bis zum Beginn der Umsiedlung erhalten bleiben, damit es für diesen Zweck eingesetzt werden könnte.

3. Die Aufstellung einer genauen jüdischen Statistik für alle europäischen Länder. Die Umsiedlungsaktion sollte von einer zentralen Stelle in Berlin geleitet werden. Den formellen Vorsitz dieses ganz Europa einbeziehenden "Umsiedlungsstabes" sollte Göring übernehmen, während der "Chef der Sicherheitspolizei und des SD" mit der technischen Durchführung beauftragt werden sollte. Letzteres bedeutete praktisch Eichmann. An diesem Plan hat Eichmann das Jahr 1940 bis zum Sommer 1941 gearbeitet. Im Oktober 1941 war dieser "Madagaskar-Plan" sogar noch Gegenstand von Besprechungen in Berlin, die Eichmann mit seinen Beauftragten in den einzelnen Ländern abhielt. Es handelte sich bei diesen Besprechungen besonders um den Stand der "Umschulung" und ihren weiteren Ausbau. Zur Vorbereitung des "Madagaskar-Planes" begann Eichmann ab August 1940, Beauftragte in einzelne von Deutschland besetzte oder mit ihm verbündete Länder zu entsenden. Diese waren entweder bei den einzelnen "Befehlshabern der SIPO und des SD" eingesetzt, oder als Gehilfen den Polizeiattachés beigegeben, in der Slowakei und Rumänien führten sie die Bezeichnung "Berater". Solche Beauftragte wurden entsandt (nach der Reihenfolge ihrer Beauftragung): Frankreich, Slowakei, Holland, Belgien, Kroatien, Rumänien, Bulgarien. (Die Entsendung von Kommandos nach Griechenland, Italien, Südfrankreich und Dänemark hing nicht mit dem "Madagaskar-Plan" zusammen und wird daher später ausgeführt.) Diesen Beauftragten gab Eichmann die oben angeführten Richtlinien, die bis Frühjahr 1942 nicht aufgehoben wurden. Die von Eichmann geplante Zentralorganisation wurde zunächst nicht geschaffen, man wollte erst das Kriegsende abwarten. Um jedoch die kommende Zuständigkeit des "Chefs der SIPO und des SD" für alle diese Probleme der Umsiedlung festzulegen, gab Göring in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des "Reichsverteidigungsausschusses" einen Erlaß im Frühsommer 1941 heraus, der mit der Vorbereitung aller Umsiedlungsangelegenheiten der Juden den "Chef der SIPO und des SD" beauftragte. Damit besaß Eichmann auch das rechtliche Instrument, alle Einmischungen anderer Behörden in seine Maßnahmen auszuschalten. In diesem Erlaß kommt das Wort "Endlösung" vor. Der "Madagaskar-Plan" lief unter diesem Stichwort, erst später hat der Begriff "Endlösung" eine völlig andere Bedeutung bekommen und wurde als Tarnwort für die biologische Vernichtung des europäischen Judentums von Himmler und Eichmann benutzt. Dies wurde von Eichmann bewußt gemacht, um andere Behörden, die in die Umsiedlungspläne eingeweiht waren, mit der Anwendung des für die Umsiedlungsaktion bisher gebrauchten Kennwortes zu täuschen.

Vom Zeitpunkt des Ausbruches des Krieges mit Rußland und dem Kriegseintritt der USA begann sich eine grundlegende Wandlung in der Behandlung des jüdischen Problems zu vollziehen. Diese Wandlung erfolgte nicht von heute auf morgen, sondern stufenweise, und fand ihren endgültigen Höhepunkt erst im Frühjahr 1942. Bevor auf sie eingegangen wird, ist folgendes kurz zusammenzufassen: Im Reichsgebiet, Böhmen und Mähren und Österreich hatte sich bis zum Sommer 1941 die Lage der Juden allgemein kaum gegenüber der Situation vor Ausbruch des Krieges verändert. Die wirtschaftlichen Maßnahmen (Arisierung) liefen weiter, die Auswanderung gelangte infolge der fortschreitenden Kriegsereignisse allmählich ganz zum Stillstand. In Polen lag die Behandlung aller jüdischen Probleme in den Händen des "Höheren SS- und Polizeiführers" und den ihm unterstellten "SS- und Polizeiführern" bei den einzelnen Gouverneuren. Ganz allgemein war die Absperrung der Juden in Ghettos mit eigener Verwaltung durchgeführt worden. In diese Ghettos waren in immer stärkerem Maße Betriebe der Rüstungsindustrie, besonders der Heeresausrüstung, verlegt worden. Die Lage der Juden war, was Ernährung, Unterbringung usw. anbelangt, ganz unterschiedlich je nach der Haltung des zuständigen "SS- und Polizeiführers". Eichmann hat sich bis zum Sommer 1941 relativ wenig um die Juden in Polen gekümmert. Er beschränkte sich, soweit mir bekannt ist, auf die Herausgabe allgemeiner Richtlinien über die Ghettobildung, Einsetzung jüdischer "Ältestenräte" und ähnliches. In den besetzten Gebieten und den mit Deutschland verbündeten Ländern, in denen Beauftragte Eichmanns tätig waren, lag das Hauptgewicht auf der Vorbereitung des "Madagaskar-Planes". Von einzelnen Maßnahmen, die örtlicher Initiative der "Befehlshaber der SIPO und des SD" oder der Militärverwaltungen entsprangen, soll bei dieser Aufstellung bewußt abgesehen werden, da nur die "große Linie" der Entwicklung aufgezeigt werden soll. Bevor auf die Entwicklung seit Ausbruch des Russenkrieges eingegangen wird, muß kurz ein Gebiet gestreift werden, das bei allen Darstellungen dieser Ereignisse bisher kaum berührt wurde, ohne das aber eine Klärung des Tatbestandes nicht möglich ist, nämlich die Gründe, die Hitler und Himmler zur Vernichtung des europäischen Judentums bewogen.

III.
Himmlers antisemitische "Weltanschauung"

Der Antisemitismus bildete eine der Hauptgrundlagen des NS-Parteiprogramms. Er resultierte im wesentlichen aus zwei Anschauungen: 1. den pseudowissenschaftlichen biologischen Feststellungen von Professor Günther und 2. aus einer mystisch-religiösen Vorstellung, daß die Welt von guten und bösen Kräften gelenkt würde. Das böse Prinzip stellten nach dieser Ansicht die Juden dar, deren Hilfsorganisationen die Kirche (Jesuitenorden), Freimaurerei und Bolschewismus waren. Die Literatur dieser Richtung ist bekannt, das ältere Schrifttum der NSDAP wimmelt von dieser Vorstellungswelt. Von den "Protokollen der Weisen von Zion" bis zu Rosenbergs "Mythos" führte eine gerade Linie. Besonders ausgeprägt finden sich diese Gedanken im Schrifttum der Mathilde Ludendorff, von deren allzu sektiererischen Ansichten man sich allerdings später distanzierte. Dieser Vorstellungswelt ist mit logischen oder Vernunftgründen absolut nicht beizukommen, sie ist eine Art Religiosität, die zur Sektenbildung drängt. Millionen von Menschen haben unter dem Einfluß dieser Literatur an diese Dinge geglaubt, ein Vorgang, der nur mit ähnlichen Erscheinungen des Mittelalters verglichen werden kann, etwa dem Hexenwahn. Gegenüber dieser Welt des Bösen stellten die Rassenmystiker die Welt des Guten, des Lichtes, verkörpert im blonden, blauäugigen Menschen, von dem allein alle kulturschöpferische, staatenbildende Kraft ausgehen sollte. Diese beiden Welten lagen nun angeblich im ständigen Kampf und der Krieg von 1939, den Hitler begonnen hat, stellte nur die endgültige Auseinandersetzung zwischen diesen Kräften dar. Man ist meist geneigt, in Himmler einen eiskalten, zynischen Politiker zu sehen; diese Ansicht ist sicher nicht richtig. Himmler war seiner ganzen Haltung nach ein Mystiker, der dieser "Weltanschauung" mit religiösem Fanatismus huldigte.

Im Besitze der notwendigen Macht, begann er seine neue "Religion der Rasse" mit eiskaltem Fanatismus, der ja für einen vom religiösen Wahn Befallenen kennzeichnend ist, in die Tat umzusetzen. So wollte er aus der Parteiformation der SS den "nordischen Sippenorden" als "Bollwerk gegen Judentum, Kirche und Bolschewismus" formen. Alle Erscheinungen des Lebens, die in diese Vorstellung nicht paßten, wurden entweder beiseite geschoben oder vernichtet. Während er auf der einen Seite Astrologen zu Rate zog und allen Geheimwissenschaften sich zuneigte, entstand aus der SS heraus allmählich eine neue Art religiöser Sekte, mit eigenen Formen und Brauchtum, in der grober Materialismus sich mit verschwommenen, deistischen Vorstellungen mengte. Nicht mehr die persönliche Leistung wurde anerkannt, sondern Beförderungen waren an Kinderzahl, Kirchenaustritte und andere Dinge gebunden. Gegenüber der "Welt des Untermenschen" forderte Himmler schärfste Maßnahmen. So entstanden die KZ. Humanität war nach Himmlers Ansicht christliche "Rückenmarkserweichung". Nietzsches Satz "Gelobt sei, was hart macht", hing auf Himmlers Befehl als Wandspruch in fast allen SS-Dienststellen. Es ist fraglos, daß Hitler diese Einstellung Himmlers kannte und sie billigte, da auch seine eigene Vorstellungswelt ihr ähnlich war. Je mehr Himmlers innenpolitische Machtsphäre sich verbreitete, um so stärker gerieten auch die Juden und ihr Schicksal unter seine Zuständigkeit. Die Lösung der Judenfrage in einer Auswanderung oder kolonialen Siedlung zu suchen, war nach Himmlers Ansicht keine Lösung, sondern nur eine Verlagerung des Problems, je stärker der Gedanke der "Weltherrschaft" von ihm Besitz ergriff. Sicherlich hatte er, wie Eichmann einmal äußerte, dem Madagaskar-Plan nur mit Rücksicht auf die Weltöffentlichkeit und aus politischen Motiven zugestimmt. Daß er im Inneren an eine Vernichtung des europäischen Judentums dachte, zeigen die Ereignisse nach Ausbruch des Krieges mit Rußland. Er, sowohl wie Heydrich und seine Gefolgsleute Müller und Eichmann, waren entschlossen, dem "Judentum einen Schlag zu versetzen, von dem es sich nicht mehr erholen wird", wie Eichmann es 1944 in zynischer Offenheit aussprach.

IV.
"Kommissarerlaß" und "Endlösung" (1941-1944)

Der Befehl Hitlers, alle Kommissare und kommunistischen Parteifunktionäre zu beseitigen, der zu Beginn des Krieges mit der Sowjetunion gegeben wurde, kennzeichnet eine neue Phase der Brutalisierung des Krieges. Der Sowjetunion gegenüber glaubte Hitler keine Rücksicht nehmen zu müssen wie den Westmächten gegenüber, die die Genfer Konvention und Haager Landkriegsordnung anerkannten. Dieser "Kommissarerlaß" wurde von Himmler und Heydrich auf alle russischen Juden ausgedehnt, in denen sie aus ihrer oben aufgezeigten Ideologie die Träger der kommunistischen Weltanschauung sahen. Die Vernichtung des russischen Judentums wurde durch Massenerschießungen durchgeführt, mit deren Ausführung die sogenannten "Einsatzgruppen" der Sicherheitspolizei beauftragt waren. Es erübrigt sich, auf diese Dinge näher einzugehen, da sie durch Ohlendorfs Aussage in Nürnberg bekannt sind. In diesem "Kommissarerlaß" sah Eichmann eine Möglichkeit, auch das übrige Judentum zu vernichten. Im Einverständnis mit Müller und Heydrich begann er im Herbst 1941 Juden aus dem Reichsgebiet, Österreich und Böhmen-Mähren nach Gebieten zu deportieren, in denen der "Kommissarerlaß" Gültigkeit hatte, besonders nach Riga und Minsk. In Riga war Eichmanns Freund, Stahlecker, Chef der "Einsatzgruppe". Diese Deportation entsprang Eichmanns privater Initiative, wie er selbst zugegeben hat, andrerseits wurde in dieser Zeit Theresienstadt als "Musterghetto" aufgebaut. Schon hieraus - aus diesem Widerspruch - ist die ganze Entwicklung als stufenweiser Ablauf gekennzeichnet. Seit Sommer 1941 begann sich Eichmann in immer stärkerem Maße mit dem Judentum in Polen zu befassen. Verschiedentlich hat er, angeblich auf Befehl Himmlers, auch in Polen Massenexekutionen selbst durchgeführt. Besonders eng wurde sein Verhältnis mit dem "SS- und Polizeiführer" Lublin, dem früheren österreichischen Gauleiter Odilo Globocnik, den Eichmann schon aus Österreich kannte. Nach Eichmanns eigenen Angaben, die er mir gegenüber machte, hat Globocnik als erster Gaskammern zur Massenextermination von Menschen angewandt. Globocnik hatte in seinem Kommandobereich große Arbeitslager für Juden errichtet; der Nichtarbeitsfähigen entledigte er sich auf die angegebene Weise. Wie Eichmann ausführte, war dieses "Verfahren" des Globocnik "unauffälliger" als die Massenerschießungen, da sich verschiedentlich Polizeiverbände geweigert hatten, die Exekutionen von Frauen und Kindern durchzuführen. Außerdem hatte man zur Beseitigung der Spuren der Exekutionen ein eigenes Kommando, das Eichmann formell unterstellt war, das "Kommando 1005" unter Standartenführer Plobel [Blobel] aufgestellt. Die zweite Welle der Verschärfung trat nach dem Kriegseintritt der USA ein. Auch in der innerdeutschen Propaganda war dies deutlich spürbar. Äußerlich trat sie in Erscheinung durch die Einführung des "gelben Sterns" als Kennzeichen für Juden. Es sei in einem Zusammenhang auch auf den Goebbels-Artikel "Die Juden sind schuld" in einer Ausgabe der Zeitschrift "Das Reich" verwiesen. In diesen Zeitabschnitt, nach dem Kriegsbeginn mit den USA, muß meiner Überzeugung nach, der Entscheid Hitlers fallen, der die biologische Vernichtung des europäischen Judentums befahl. Klarheit in diese Zusammenhänge könnte meines Erachtens nur Eichmanns eigene Aussage oder die von Müller bringen, wenn nicht Pohl die genauen Zusammenhänge kennt. Der mir von Eichmann im August 1942 gezeigte Befehl Himmlers datierte vom Frühjahr 1942; sicher ist der Befehl Hitlers aber schon einige Zeit vorher gegeben worden, da in dem Himmler-Befehl die Zurückstellung der arbeitsfähigen Juden den Hauptgegenstand bildete.

Zusammenfassend stelle ich auf Grund Eichmanns Angaben fest:

1. Der Madagaskar-Plan wurde im Winter 1941/1942 endgültig fallengelassen. Die Gründe hierfür waren ideologischer Art.

2. Bis zum Einsetzen der Deportierung aus Europa und der Massenvernichtung der Juden im Sommer 1942 waren Vorstufen vorhanden, die vom "Kommissar"-Befehl ausgelöst wurden.

3. Diese radikale Änderung war bis zum Sommer 1942 nicht erkennbar; sie wurde sorgfältig getarnt und der Öffentlichkeit als Umsiedlung nach Polen mit gleichzeitiger verstärkter antisemitischer Propaganda erklärt.

4. Von der biologischen Vernichtung hat Himmler, auf eigene Initiative oder Vorschlag Pohls, die arbeitsfähigen Juden zurückgestellt, die er als Arbeitssklaven in den großen Betrieben der KZs einsetzen wollte. Auch andere Arbeitsvorhaben wollte er von diesen Arbeitssklaven ausführen lassen, wie die Anpflanzung eines Waldgürtels in Osteuropa zur Klimaverbesserung (Äußerung Eichmanns).

Seit März/April 1942 begann Eichmann, im Besitze der entsprechenden Befehle, die Deportation und Vernichtung des europäischen Judentums zu organisieren. Als Vernichtungslager wurden Auschwitz und einige Lager bei Lublin eingerichtet. Die Reihenfolge der einzelnen Länder war von Eichmann nicht besonders festgelegt worden. Er ließ sich Zeit für die Aktion, da ihm offenbar die Vernichtung des polnischen Judentums und die Deportierung aus dem Reichsgebiet vordringlich erschien.

Die Deportation und Vernichtung der Juden lief unter der Bezeichnung "Endlösung", unter der bisher der Madagaskar-Plan gelaufen war. Die Deportierung aus dem Reichsgebiet und den besetzten Gebieten, ja selbst in Polen, lief nicht sehr schnell ab, da die Juden vielfach im Wirtschaftsprozeß eingeschaltet waren und zum Teil im großen Maßstab in der Rüstungsindustrie arbeiteten. Das Lager Theresienstadt, ursprünglich als Ghetto für die tschechischen Juden gedacht und dann in ein sogenanntes "Altersghetto" für bevorzugte jüdische Familien umgewandelt, blieb zunächst bestehen. Auf Theresienstadt und dem Kampf seiner Erhaltung bis Kriegsende, wird weiter unten eingegangen.

V.
Zeitlicher Ablauf in den einzelnen Ländern und Stop der Vernichtungsaktion 1944

Mit der Durchführung der Deportation nach den Lagern Auschwitz und Lublin waren in Österreich und Böhmen/Mähren die "Zentralstelle" in Wien bzw. das "Zentralamt" in Prag beauftragt. Im Reichsgebiet waren hierfür die örtlichen Staatspolizeistellen und in Polen die "SS- und Polizeiführer" zuständig. In die besetzten Gebiete hatte Eichmann zumeist eigene Kommandos entsandt, die organisatorisch bei dem "Befehlshaber der SIPO und des SD" eingebaut waren. Bei der Deportation aus den besetzten Gebieten und den mit Deutschland verbündeten Ländern ging Eichmann von den gegebenen politischen Möglichkeiten aus, wobei er es zunächst vermied, durch Anwendung von politischer Pression außenpolitische Schwierigkeiten hervorzurufen. Dieses Vorgehen entsprach auch dem Bemühen, die ganze Aktion so unauffällig und geheim wie möglich ablaufen zu lassen. Erst später 1943/44 ist er von diesem Prinzip abgegangen. Daß diese Behauptung richtig ist, zeigt am besten die Gegenüberstellung der Ereignisse in der Slowakei - und auch in Rumänien. Die Deportation aus europäischen Ländern begann gleichzeitig in Frankreich, Holland, Belgien und der Slowakei im März/April 1942. In allen diesen Ländern bemühte sich Eichmann besonders, die arbeitsfähigen Juden als erstes zu erfassen, da die Vernichtungslager in Auschwitz und Lublin erst im Entstehen waren. In Frankreich wurden zuerst die jüdischen Emigranten von der Aktion erfaßt, während die Vichy-Regierung der Deportation französischer Staatsangehöriger erst später zustimmte. In Holland und Belgien waren die Verhältnisse ähnlich. In der Slowakei lag ein klares Angebot der damaligen slowakischen Regierung zur Deportation der jüdischen Arbeitskräfte und anschließend ihrer Familien vor. Wie vorsichtig Eichmann hierbei vorging, da es sich um das erste nicht besetzte Land handelte, zeigt, daß er die Forderung auf Aberkennung der Staatsangehörigkeit und Zahlung eines "Umsiedlungsbeitrages" stellte. Er hat eine derartige Forderung später in keinem anderen Lande wiederholt. Die Annahme von Eichmanns Verlangen durch die damalige slowakische Regierung zeigt, daß diese ein Interesse an der Deportation hatte. Hätte ein solches freiwilliges Angebot nicht vorgelegen, so wäre die Slowakei vermutlich vor 1944 nicht in die Deportation einbezogen worden, denn auch Ungarn und Rumänien wurden aus politischen Gründen von Eichmann zunächst zurückgestellt. In Rumänien bemühte sich der dortige "Berater" und Polizeiattaché, Richter, auf Eichmanns Befehl im Sommer 1942, die rumänische Regierung zu bewegen, auch die dortigen Juden nach Polen zu deportieren. Antonescu lehnte dies jedoch ab und führte eine eigene Aktion unter Abschiebung der Juden in die von Rumänien besetzten russischen Gebiete, besonders den Raum von Odessa, durch. Tatsächlich sind aus Rumänien keine Juden nach den polnischen Vernichtungslagern deportiert worden, so sehr sich Eichmann auch später noch in dieser Richtung bemühte. Während des Sommers/Herbst 1942 liefen also Aktionen aus Frankreich, Holland, Belgien und der Slowakei. Aus Kroatien wurde meines Wissens nur ein Transport aus Agram deportiert, die übrigen Juden waren entweder ins italienische oder das Partisanengebiet geflüchtet. Gegen Ende des Sommers 1942 trat ein allgemeiner Stillstand der Deportation ein. In allen Ländern hatte sich der Widerstand gegen die Deportation versteift. Dies hing besonders mit dem allgemeinen Bekanntwerden der tatsächlichen Verhältnisse zusammen. Bis zum Herbst 1942 hielt Eichmann die "Endlösung" auch vor seinen Mitarbeitern geheim. Dies war umso leichter, als diese nur höchst selten, wenn sie von Eichmann befohlen wurden, nach Berlin kamen: Erst im November 1942 hat er auf einer Tagung in Berlin einzelnen seiner Untergebenen Mitteilung von der Vernichtungsaktion gemacht. Derartige Tagungen hielt Eichmann jährlich nur einmal ab. Im Januar 1943 sandte Eichmann seinen Vertreter Günther nach Saloniki, um mit der dortigen deutschen Militärverwaltung wegen der Juden in Nordgriechenland, der deutschen Zone, zu verhandeln. Die Militärverwaltung plante eine Ghettobildung und örtlichen Arbeitseinsatz der Juden im Rahmen der OT. Als ich im Februar 1943 nach Saloniki ging, gab mir Eichmann noch diesen Auftrag, gleichzeitig sandte er aber Brunner nach Saloniki mit dem Befehl, die Deportation vorzubereiten. Da die Militärverwaltung sich Brunners Vorschlägen anschloß, führte dieser die Deportation aus Mazedonien ab Ende März bis Mitte Mai durch. Ein Versuch von mir, Eichmann unter Hinweis auf eine Fleckfieberepidemie und die ungeheure Entfernung zur Aufschiebung der Aktion zu veranlassen, scheiterte. Nach Abschluß der Deportation in Mazedonien wurde Brunner, der Eichmanns höchste Gunst besaß, nach Frankreich mit seinem Kommando gesandt, um dort die Deportation zu aktivieren, da Eichmann den "Befehlshaber der SIPO" in Paris, Dr. Knochen, der Sabotage seiner Maßnahmen beschuldigte. Brunner betätigte sich besonders in Südfrankreich und dem früher unbesetzten französischen Gebiet. Auch aus Holland/Belgien gingen ab Frühjahr 1943 wieder Transporte. Gleichzeitig mit der Aktion aus Mazedonien liefen einige Transporte aus Bulgarien und zwar aus dem früher griechischen Gebiet von Thrazien, die von dem im Auftrage Eichmanns beim Polizeiattaché in Sofia tätigen Dannecker veranlaßt worden waren. Nach der italienischen Kapitulation im September 1943 wurde Dannecker von Eichmann nach Rom entsandt. Die italienische Regierung hatte sich trotz verschiedentlicher Bemühungen Himmlers bei Mussolini der Deportation nicht angeschlossen, ja sogar im Fall Saloniki ihre jüdischen Staatsangehörigen nach Italien repatriiert. Dannecker, und seit 1944 Boßhammer, haben aus Italien einige Transporte deportiert, jedoch ist der Hauptteil der italienischen Juden wegen der schnell fortschreitenden Kriegsereignisse in diesem Lande und der Partisanentätigkeit nicht erfaßt worden. Im September 1943 sandte mich Eichmann nach Athen mit dem Befehl, die Juden aus Südgriechenland unverzüglich zu deportieren. Da ich diesen Befehl bis Januar 1944 nicht durchführte, obgleich die Möglichkeit hierfür gegeben war, wurde ich abgelöst und Burger nach Athen entsandt, der im Frühsommer 1944 einige Transporte organisierte. Im Frühjahr 1944 ging Eichmanns Vertreter, Günther, mit einem Kommando nach Kopenhagen, um die dänischen Juden zu deportieren. Da die Aktion aber rechtzeitig bekannt wurde, flüchteten diese zum größten Teil nach Schweden. Nur einige hundert wurden verhaftet, aber nicht nach Auschwitz gebracht, sondern in Theresienstadt untergebracht. Sie verdankten dies dem mutigen Eintreten des dänischen Königs. Bis zum Frühjahr 1944 hatten also in fast allen Ländern, die unter deutschem Einfluß standen, Deportationen stattgefunden. Überall aber waren die Aktionen nicht abgeschlossen worden oder ganz ungleichmäßig verlaufen. Nur zwei Länder waren von Eichmanns Maßnahmen bisher verschont geblieben, Ungarn und Rumänien. Rumänien hat sich auch bis zum Kriegsende der Deportation nach Polen nicht angeschlossen, während Ungarn im März 1944 an die Reihe kam. Je mehr der Krieg fortschritt und es immer klarer wurde, daß ein deutscher Sieg ausgeschlossen war, um so stärker drang Eichmann auf die restlose Durchführung der Deportation und der Vernichtung. Aus diesem Grunde ging er auch persönlich nach Budapest mit einem Kommando, zu dem er die meisten seiner Mitarbeiter beordert hatte. Nur Brunner blieb in Frankreich und Boßhammer in Italien. Für die Dauer seines Budapester Aufenthalts übernahm seine Vertretung in Berlin Rolf Günther. Die in Ungarn stationierten Polizeikräfte und Eichmanns Kommando hätten an sich nicht ausgereicht, die Deportation der ungarischen Juden durchzuführen. Eichmann fand aber die retslose Unterstützung der Staatssekretäre Endre und Baky im ungarischen Innenministerium, die den Apparat der ungarischen Gendarmerie vollständig einsetzten. Eichmanns Ziel war die Durchführung einer "Blitzaktion", und er hat diesen Plan auch verwirklicht. Lediglich die Deportation der Juden aus Budapest gelang ihm nicht, da diese Aktion, die besonders geheim vorbereitet worden war, rechtzeitig verraten wurde und Horthy auf Intervention neutraler Diplomaten die Aktion verbot. Auf diese Dinge wird weiter unten noch eingegangen. Die seit Frühjahr 1944 in Budapest laufenden Bemühungen von Vertretern des "Joint Distribution Committee" führten dann im Oktober 1944 zu einem Befehl Himmlers, der die "Endlösung" stornierte. Die letzte Aktion, die Eichmann noch durchführte, obgleich er über den Stand der Verhandlungen mit Himmler unterrichtet war, war die Deportierung der restlichen Juden aus der Slowakei. Brunner, der aus Frankeich zurückgekehrt war, wurde im September 1944 nach Bratislava entsandt und deportierte in größter Eile die Juden, die er erfassen konnte. Aber selbst nach den Erlaß Himmlers von Oktober 1944 gab Eichmann sich noch nicht zufrieden. Der Erlaß verbot nämlich nur die Vernichtung der Juden, und so machte er sich daran, aus Budapest Juden als Arbeitskräfte für die KZs und für den Stellungsbau bei Wien zu rekrutieren. Im Dezember 1944 mußte er auch diese Tätigkeit einstellen, da Budapest von russischen Streitkräften eingeschlossen wurde. Seit Februar 1945 befand sich Eichmanns Referat in voller Auflösung. Er selbst und der Hauptteil seiner Mitarbeiter ist bei dem Zusammenbruch im Mai 1945 untergetaucht. Abschließend möchte ich die Gründe feststellen, warum Eichmann mit seiner Aktion einen solchen Erfolg haben konnte.

1. Eichmann besaß das vollste Vertrauen von Himmler, Heydrich und Müller. Auch unter Kaltenbrunners Amtsführung blieb seine Vertrauensstellung absolut erhalten.

2. Auf Grund des Göring-Erlasses vom Sommer 1941 konnte Eichmann die Einsprüche unterer Dienststellen glatt ausschalten.

3. In bezug auf die besetzten Gebiete und die verbündeten Länder wurde Eichmann von Ribbentrop und dem Auswärtigen Amt in keiner Weise an seiner Tätigkeit gehindert. Das Auswärtige Amt hatte sich völlig Eichmanns Initiative untergeordnet.

4. Das Reichsverkehrsministerium hat Eichmann, trotz aller Schwierigkeiten bei der Beschaffung des Waggonmaterials, stets bevorzugt die notwendigen Transportmittel zur Verfügung gestellt. Mit der Gestellung der Waggons stand und fiel die gesamte Deportation. Das zeigte sich ganz klar im Fall Griechenland und Ungarn.

5. Eichmanns Mitarbeiter waren gewöhnt, blind Befehle auszuführen. Einen Widerstand hat außer mir, nur noch in Ungarn Obersturmbannführer Krumey versucht. Es war, wie ich oft versucht habe, unmöglich, unter Appell an die Vernunft, diese Leute zu einer stillen Sabotage oder zu einer Verlangsamung, die ja bei der raschen Entwicklung des Krieges die Rettung von Tausenden von Menschen bedeutete, zu bewegen. Eichmanns persönlicher Einfluß auf diese zumeist völlig primitiven Menschen war zu groß.

Auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen stelle ich nochmals fest, daß Eichmanns, obgleich durch Befehle von Hitler und Himmler gedeckt, persönlicher Anteil an dieser Tat, der Dezimierung des europäischen Judentums, entscheidend ist und er voll dafür verantwortlich gemacht werden muß, da es andere Möglichkeiten gab, den Hitler-Befehl zu umgehen.

(...)

Quelle:

  1. Leon Poliakov und Josef Wulf
    Das Dritte Reich und die Juden
    Berlin 1955, S. 87ff

Siehe auch:

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