Jankiel Wiernik[1]
Ein Jahr in Treblinka
Aus dem Amerikanischen von Frank Beer
Kapitel 1
Lieber Leser:
Um deinetwillen allein hänge ich an diesem elenden Leben, obwohl es jeden Reiz für mich verloren hat. Wie kann ich frei atmen und all das genießen, was die Natur geschaffen hat?
Immer wieder wache ich mitten in der Nacht auf und stöhne kläglich. Fürchterliche Albträume rauben mir den Schlaf, den ich so dringend brauche. Ich sehe Tausende von Skeletten, die mir ihre knochigen Arme entgegenstrecken, als ob sie um Gnade und das Leben bettelten, aber schweißgebadet fühle ich mich unfähig zu helfen. Und dann springe ich auf, reibe mir die Augen und freue mich tatsächlich darüber, dass es nur ein Traum war. Mein Leben ist bitter. Trugbilder des Todes verfolgen mich, Gespenster von Kindern, kleinen Kindern, immer nur Kindern.
Ich opferte all jene, die mir am liebsten und teuersten waren. Ich brachte sie selbst an den Ort der Hinrichtung. Ich baute ihre Todeskammern.
Heute bin ich ein heimatloser, alter Mann ohne Dach über dem Kopf, ohne Familie, ohne nächste Angehörige. Ich führe Selbstgespräche. Ich antworte auf meine eigenen Fragen. Ich bin ein Nomade. Mit einem Gefühl der Angst gehe ich durch menschliche Siedlungen. Ich habe das Gefühl, dass all das Erlebte sich mir auf der Stirn eingebrannt hat. Immer, wenn ich mein Spiegelbild in einem Strom oder einem Wasserbecken sehe, verwandeln Beklemmung und Erstaunen mein Gesicht in eine hässliche Fratze. Sehe ich wie ein menschliches Wesen aus? Nein, bestimmt nicht. Zerzaust, ungepflegt, heruntergekommen. Es scheint, als ob ich eine Last von mehreren Jahrhunderten auf meinen Schultern trage. Die Last ist ermüdend, sehr ermüdend, aber ich muss sie vorläufig noch tragen. Ich will und muss sie tragen. Ich, der ich den Untergang von drei Generationen sah, muss weiterleben und auf eine bessere Zukunft hoffen. Die Welt muss von der Infamie dieser Barbaren erfahren, so dass die kommenden Jahrhunderte und Generationen sie verfluchen können. Und ich bin es, der veranlassen wird, dass es geschieht. Keine Phantasie, egal wie gewagt, könnte sich ausmalen, was ich gesehen und erlebt habe. Auch könnte keine Feder, egal wie gewandt, es angemessen beschreiben. Ich will alles genau darstellen, so dass die ganze Welt erfahren mag, was "westliche Kultur" bedeutet hat. Ich litt, während ich Millionen von Menschen ins Verderben führte, damit viele Millionen Menschen alles darüber erfahren können. Das ist es, wofür ich lebe. Das ist mein einziges Ziel im Leben. In Ruhe und Abgeschiedenheit arbeite ich an meiner Geschichte und präsentiere sie mit gewissenhafter Genauigkeit. Ruhe und Einsamkeit sind meine vertrauten Freunde und nichts als das Gezwitscher der Vögel begleitet mein Nachdenken und meine Mühen. Die lieben Vögel. Sie haben mich noch lieb, sonst würden sie nicht so fröhlich drauflos zwitschern und sich nicht so leicht an mich gewöhnen. Ich liebe sie, wie ich alle Geschöpfe Gottes liebe. Vielleicht bringen mir die Vögel meinen Seelenfrieden zurück. Vielleicht kann ich eines Tages wieder lachen.
Vielleicht wird dies geschehen, sobald ich meine Arbeit fertiggestellt habe und sich die zwischen uns geknüpften Bande wieder lösen.
Kapitel 2
Es geschah in Warschau am 23. August 1942 während der Blockade. Ich hatte meine Nachbarn besucht und kehrte nie mehr in meine eigene Wohnung zurück. Wir hörten den Krach von Gewehrfeuer aus allen Richtungen, aber hatten keine Ahnung von der bitteren Realität. Der Einmarsch der deutschen Scharführer[2] und ukrainischen Wachmänner verstärkte unseren Schrecken. Sie schrien laut und drohend: "Alle raus".
Ein Scharführer stellte die Menschen auf der Straße in Reihen auf, ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht. Er führte seine Aufgabe mit Freude aus und hatte ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Umtriebig und mit schnellen Bewegungen war er bald hier und bald dort. Er musterte uns geringschätzig, und sein Blick wanderte die Reihen auf und ab. Mit einem sadistischen Lächeln betrachtete er die große Leistung seines mächtigen Landes, das mit einem Schlag den Kopf der abscheulichen Hydra abschlagen konnte.
Er war der Niederträchtigste von allen. Ein Menschenleben bedeutete ihm nichts, und Tod und unsägliche Folter waren ihm das höchste Vergnügen. Wegen seiner "Heldentaten" wurde er später zum Unterscharführer befördert. Er hieß Franz[3]. Er hatte einen Hund namens Barry, auf den ich später noch zu sprechen kommen werde.
Ich stand in einer Reihe direkt gegenüber meinem Haus in der Wolynskastraße. Von dort wurden wir zur Zamenhofstraße gebracht. In unserem Beisein teilten die Ukrainer unseren Besitz unter sich auf. Sie stritten sich, öffneten alle Bündel und sichteten deren Inhalt.
Trotz der großen Zahl von Menschen hing eine tiefe Ruhe wie ein Leichentuch über der Menge. Diese wurde von einer stummen Verzweiflung gepackt. Oder war es Resignation? Und noch immer hatten wir die Wahrheit nicht begriffen. Sie fotografierten uns, als ob wir Tiere wären. Ein Teil der Menge schien zufrieden und ich hoffte für mich, nach Hause zurückkehren zu können. Ich dachte mir, dass wir irgendein Identifikationsverfahren durchlaufen müssten. Auf einen Befehl hin wurden wir in Marsch gesetzt. Zu unserer Bestürzung sahen wir dann der harten Realität ins Auge. Dort standen Eisenbahnwaggons, leere Waggons, die auf uns warteten. Es war ein typischer heiterer und heißer Sommertag. Es kam uns so vor, als ob die Sonne selbst gegen diese Ungerechtigkeit rebellierte. Welches Unrecht hatten unsere Frauen, Kinder und Mütter begangen? Warum geschah dies alles? Die schöne, helle, strahlende Sonne verschwand hinter den Wolken, als ob sie es satt hatte, auf unser Leid und die Demütigung herabzublicken.
Als nächstes kam der Befehl, in die Waggons einzusteigen. Bis zu 80 Personen wurden in jeden Waggon gepfercht. Es gab keine Möglichkeit zur Flucht. Ich hatte meine einzige Hose, ein Hemd und ein Paar Halbschuhe an. Einen gepackten Rucksack und ein Paar hohe Stiefel hatte ich zu Hause gelassen. Diese hatte ich zurechtgelegt aufgrund von Gerüchten, dass man uns in die Ukraine umsiedeln und dort zur Arbeit schicken würde. Unser Zug wurde von einem Gleis auf ein anderes rangiert. In der Zwischenzeit hatten unsere ukrainischen Wachen eine gute Zeit. Ihre Rufe und ihr fröhliches Gelächter waren deutlich zu hören.
Die Luft in den Wagen wurde brütend heiß und drückend. Eine starke und hoffnungslose Verzweiflung kam über uns wie ein Leichentuch. Ich sah alle meine Gefährten im Elend, aber mein Verstand konnte die Unermesslichkeit unseres Unglücks noch nicht fassen. Ich kannte Leid, brutale Behandlung und Hunger, aber ich nahm noch immer nicht wahr, dass der gnadenlose Arm des Henkers uns alle bedrohte, unsere Kinder und unsere schiere Existenz.
Unter unsäglichen Qualen erreichten wir schließlich Malkinia, wo unser Zug die Nacht über hielt. Die ukrainischen Wachen kamen in unseren Waggon und verlangten unsere Wertsachen. Jeder, der etwas hatte, gab es an sie heraus, um nur ein bisschen länger am Leben zu bleiben. Leider hatte ich nichts von Wert dabei, weil ich mein Zuhause unerwartet verlassen hatte und arbeitslos gewesen war. Um über die Runden zu kommen, hatte ich nach und nach alles von Wert verkauft.
Am Morgen setzte sich unser Zug wieder in Bewegung. Wir sahen einen vorbeifahrenden Zug mit wirren, halb nackten und verhungerten Menschen. Sie sprachen zu uns herüber, aber wir konnten nicht verstehen, was sie sagten.
Wir litten großen Durst, da der Tag heiß und schwül war. Als ich einen Blick aus dem Fenster warf, sah ich Bauern mit Flaschen Wasser für 100 Zloty pro Stück hausieren. Ich hatte nur 10 Zloty Silbergeld bei mir, das das Konterfei Marschall Pilsudskis trug und das ich als Andenken schätzte. Und so musste ich auf das Wasser verzichten. Andere jedoch kauften es und auch Brot, zum Preis von 500 Zloty für 1 kg Roggenbrot.
Bis zum Mittag litt ich heftig an Durst. Dann betrat ein Deutscher, der später "Hauptsturmführer" wurde, unseren Waggon und holte zehn Männer heraus, um uns allen Wasser zu bringen. Endlich konnte ich meinen Durst etwas löschen. Wir erhielten die Order, die Toten herauszuschaffen, wenn es denn welche gebe. Aber es gab keine.
Um vier Uhr nachmittags fuhr der Zug wieder weiter, und innerhalb weniger Minuten kamen wir in das Lager Treblinka. Die schreckliche Wahrheit dämmerte uns erst bei der Ankunft. Der Hof des Lagers war mit Leichen übersät, einige noch in ihren Kleidern und andere nackt. Ihre Gesichter waren vor Angst und Schrecken verzerrt, schwarz und aufgedunsen, die Augen weit geöffnet, mit heraushängenden Zungen, die Schädel zertrümmert und die Körper verstümmelt. Und überall Blut, das Blut unserer Kinder, unserer Brüder und Schwestern, unserer Väter und Mütter.
Wir waren hilflos und ahnten schon, dass wir unserem Schicksal nicht entrinnen und den Henkern ebenfalls zum Opfer fallen würden. Was konnte man nur dagegen tun? Wenn es doch nur ein Alptraum gewesen wäre! Aber nein, es war harte Realität. Wir waren mit dem konfrontiert, was als "Umsiedlung" bezeichnet wurde und Umsiedlung ins Jenseits bedeutete, unter unsäglichen Qualen. Wir erhielten den Befehl, auszusteigen und alles Gepäck in den Waggons zurückzulassen.
Kapitel 3
Sie brachten uns auf den Hof des Lagers, der auf beiden Seiten von Baracken flankiert wurde. Zwei große Schilder enthielten Anweisungen, alles Gold, Silber, Diamanten, Bargeld und andere Wertsachen unter Androhung der Todesstrafe auszuhändigen. Währenddessen standen ukrainische Wachen mit Maschinengewehren im Anschlag auf den Barackendächern.
Die Frauen und Kinder wurden aufgefordert, sich nach links zu begeben, und die Männer angewiesen, sich auf der rechten Seite zu versammeln und sich auf den Boden zu hocken. In einiger Entfernung von uns war eine Gruppe von Männern damit beschäftigt, unsere Bündel, die sie aus dem Zug geladen hatten, zusammenzutragen. Es gelang mir, mich unter diese Gruppe zu mischen und selbst zu arbeiten zu beginnen. Dort geschah es, dass ich den ersten Hieb mit einer Peitsche von einem Deutschen erhielt. Wir nannten ihn Frankenstein. Den Frauen und Kindern wurde befohlen, sich auszuziehen, aber ich fand nicht heraus, was mit ihnen weiter geschah. Tatsächlich sah ich sie nie wieder.
Am späten Nachmittag kam ein Zug aus Miedzyrzec, aber 80 Prozent seiner menschlichen Fracht bestand aus Leichen. Wir mussten sie unter den Peitschenhieben der Wachen aus dem Zug entladen. Endlich waren wir mit der grausamen Plackerei fertig. Ich fragte einen meiner Kollegen, was das alles zu bedeuten hatte. Er antwortete nur, dass jeder, mit dem ich heute spräche, morgen schon nicht mehr am Leben sei.
Voller Angst und Ungewissheit warteten wir ab. Nach einer Weile wurde uns befohlen, einen Halbkreis zu bilden. Der Scharführer Franz kam zu uns, begleitet von seinem Hund und einem ukrainischen Wachmann, der mit einem Maschinengewehr bewaffnet war. Wir waren etwa 500 Personen. Stumm und angespannt standen wir da. Etwa 100 wurden aus unserer Gruppe ausgewählt und in Fünferreihen aufgestellt. Sie mussten ein Stück wegmarschieren und man befahl ihnen, sich hinzuknien. Plötzlich ratterten Maschinengewehre und die Luft füllte sich mit dem Stöhnen und Schreien der Opfer. Ich sah keinen von ihnen wieder. Unter einem Hagel von Peitschenhieben und Gewehrkolbenschlägen trieb man den Rest von uns in die Baracke, die dunkel war und keinen Fußboden besaß. Ich setzte mich auf den Sandboden und fiel in den Schlaf.
Am nächsten Morgen weckten sie uns mit lautem Geschrei "aufstehen". Wir sprangen sofort auf und gingen unter dem Gebrüll unserer ukrainischen Wachen auf den Hof hinaus. Die Scharführer schlugen uns weiterhin auf Schritt und Tritt mit Peitschen und Gewehrkolben, während wir aufgestellt wurden. Dort standen wir geraume Zeit, ohne Befehle zu bekommen. Aber das Prügeln ging weiter. Der Tag brach gerade an und ich dachte, dass die Natur selbst uns zu Hilfe kommen und Blitze auf unsere barbarischen Peiniger hinabsenden würde. Aber die Sonne gehorchte nur den Gesetzen der Natur, ging in glänzender Pracht auf und ihre Strahlen fielen auf unsere gequälten Körper und schmerzenden Herzen.
"Achtung!" Der Befehl riss mich aus meinen Gedanken. Eine Gruppe von Scharführern und ukrainischen Wachmännern, die von Untersturmführer Franz mit seinem unzertrennlichen Hund Barry angeführt wurde, stand vor uns. Franz kündigte einen Befehl an. Auf sein Zeichen fingen sie an, uns erneut zu misshandeln. Schläge prasselten auf uns nieder. Unsere Gesichter und Körper wurden grün und blau geschlagen, aber wir mussten alle aufrecht stehen bleiben, denn wenn jemand sich nur ein wenig vorbeugte, wurde er erschossen, weil er als arbeitsunfähig galt.
Als unsere Peiniger ihren Blutdurst gestillt hatten, wurden wir in Gruppen eingeteilt. Ich wurde einer Gruppe zugeteilt, die die Leichen abzufertigen hatte. Die Arbeit war sehr hart, weil wir jeden Leichnam zu zweit über eine Distanz von etwa 300 Metern schleifen mussten. Manchmal banden wir Stricke um die Leichen, um sie zu den Gräbern zu ziehen.
Plötzlich sah ich eine lebende, nackte Frau in der Ferne. Sie war jung und schön, aber aus ihren Augen blickte einem der Wahnsinn entgegen. Sie sagte etwas zu uns, aber wir konnten es nicht verstehen und ihr auch nicht helfen. Sie hatte sich in ein Bettlaken gehüllt, unter dem sie ein kleines Kind verbarg. Verzweifelt war sie auf der Suche nach einer Deckung. Dann sah sie einer der Deutschen, befahl ihr, in ein bereits ausgehobenes Grab zu steigen und erschoss sie und das Kind. Es war die erste Erschießung, die ich miterlebte.
Ich schaute auf die Gruben um mich herum. Die Dimensionen jedes Grabens waren 50 mal 25 mal 10 Meter. Ich stand über einem von ihnen und wollte eine Leiche hineinwerfen, als plötzlich ein Deutscher von hinten kam und mich erschießen wollte. Ich drehte mich um und fragte ihn, was ich getan hätte, worauf er mir sagte, dass ich unnötigerweise versucht hätte, in den Graben zu klettern. Ich erklärte ihm, dass ich nur die Leiche hatte hineinwerfen wollen.
Praktisch wurden wir alle bewacht, entweder von einem Deutschen mit einer Peitsche oder einem ukrainischen Wachmann, der mit einem Gewehr bewaffnet war. Während der Arbeit wurden wir gewöhnlich auf den Kopf geschlagen. In einiger Entfernung befand sich ein Bagger zum Ausheben der Gräber.
Wir mussten die Leichen im Laufschritt tragen oder ziehen, und die kleinste Verletzung der Befehle zog heftige Prügel nach sich. Die Leichen hatten schon längere Zeit herumgelegen und waren bereits in Verwesung übergegangen, was die Luft mit Gestank verpestete. Die Würmer krochen bereits überall auf den Leichen herum. Es kam öfter vor, dass ein Arm oder ein Bein abfiel, wenn wir Stricke an den Leichen festbanden, um sie wegschleifen zu können. So arbeiteten wir von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ohne Essen und Trinken an den Gruben, die eines Tages auch unser Grab werden sollten. Tagsüber war es sehr heiß und wir wurden vom Durst gequält.
Als wir am Abend in unsere Baracken zurückkehrten, sah jeder von uns nach den Männern, die wir am vorherigen Tag getroffen hatten, aber ach, leider konnten wir sie nicht finden, weil sie nicht mehr unter den Lebenden waren. Diejenigen, die beim Sortieren der Bündel arbeiteten, wurden weit häufiger zu Opfern als die anderen. Weil sie ausgehungert waren, stahlen sie Nahrungsmittel aus den Paketen von den Zügen, und wenn sie erwischt wurden, mussten sie zum nächsten offenen Graben marschieren, wo eine schnelle Kugel ihr tristes Dasein auslöschte. Der gesamte Hof war übersät mit Paketen, Koffern, Kleidung und Rucksäcken, die von den Opfern abgelegt wurden, bevor diese ihr Schicksal traf. Als ich dort arbeitete, bemerkte ich, dass einige Arbeiter rote oder gelbe Flicken auf der Hose hatten. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Sie belegten einen Teil unserer Baracke, der durch eine Zwischenwand abgeteilt war. Es waren 50 Männer und eine Frau. Vier Tage lang beseitigte ich Leichen und überlebte unter diesen entsetzlichen Bedingungen.
Kapitel 4
An einem Freitag, ich glaube, es war der 28. August 1942, kehrten wir von der Arbeit zurück. Alles ging drillmäßig vonstatten, "Achtung! Mütze auf und ab!" und dann folgte eine Ansprache von Franz. Er ernannte aus unserer Mitte einen Vorarbeiter und mehrere Kapos, die uns bei der Arbeit antreiben sollten. In seinem Vortrag erklärte Franz uns, wenn wir hart arbeiteten, würden wir alles bekommen, was wir brauchten. Wenn nicht, würde er Mittel und Wege finden, es uns heimzuzahlen. Ein Deutscher beweise sein Können, führte Franz aus, durch seine Fähigkeit, jede Situation zu meistern. So führten die Deutschen die Deportationen in einer Weise durch, dass die Juden aus ihrem eigenen freien Willen in die Züge drängten, ohne zu ahnen, was sie erwartete. Der ganze Vortrag von Franz war reichlich mit seinen üblichen Beschimpfungen gespickt.
Am 29. August gab es den üblichen Weckruf, aber dieses Mal erfolgte er auf Polnisch. Wir standen schnell auf und gingen auf den Hof hinaus. Da wir in unseren Kleidern schliefen, brauchten wir uns nicht anzuziehen. Dementsprechend konnten wir dem Befehl schnell Folge leisten und in Reihen antreten. Die Befehle wurden in polnischer Sprache erteilt, und im Großen und Ganzen wurden wir ordentlich behandelt. Erneut hielt Franz eine Rede, in der er sagte, dass von nun an jeder so eingesetzt werde, wie es seinem erlernten Beruf entsprach.
Die ersten, die man aufrief, waren Fachleute aus der Baubranche. Ich meldete mich als Zimmermannsmeister am Bau. Alle, die in dieser Gruppe waren, wurden von den anderen getrennt. Es kamen fünfzehn von uns in die Baugruppe, für die drei Ukrainer als Wächter abgeordnet wurden. Einer von ihnen, ein älterer Soldat mit Namen Kostenko, sah nicht allzu bedrohlich aus. Der zweite, Andrejew, ein typischer "Wachmann", war von mittlerer Größe, stämmig, mit einem runden, roten Gesicht und ein freundlicher, ruhiger Typ. Der dritte, Mikoda, war ein sadistischer Typ, klein, dürr, bösartig und mit teuflischen Augen. Es gab noch zwei weitere Ukrainer, die mit Gewehren bewaffnet waren und uns bewachen sollten.
Wir wurden in den Wald geführt und angewiesen, den Stacheldrahtverhau abzubauen und Holz zu schlagen. Kostenko und Andrejew waren recht friedfertig. Mikoda jedoch saß die Peitsche locker in der Hand. Um die Wahrheit zu sagen: Es gab keine wirklichen Fachleute unter denen, die für den Bautrupp genommen worden waren. Sie hatten sich einfach als Zimmermann gemeldet, weil sie nicht zur Arbeit bei den Leichen eingesetzt werden wollten. Sie wurden ständig ausgepeitscht und gedemütigt.
Mittags hörten wir auf zu arbeiten und kehrten in die Baracke zum Mittagessen zurück, das aus Suppe, Grütze und schimmligem Brot bestand. Unter normalen Umständen wäre eine Mahlzeit wie die unsrige als ungeeignet für den menschlichen Verzehr angesehen worden, aber ausgehungert und müde wie wir waren, aßen wir alles. Um ein Uhr kamen unsere Wachen, um uns wieder zur Arbeit zur bringen, bei der wir bis zum Abend blieben, um dann in die Baracke zurückzukehren. Danach folgte die übliche Routine, Befehle und so weiter.
An jenem Tag waren viele Deutsche zugegen, und wir waren ungefähr 700 Mann. Franz war auch mit seinem Hund da. Unvermittelt fragte er mit einem Lächeln im Gesicht, ob jemand von uns Deutsch könne. Etwa 50 Männer traten vor. Er befahl ihnen, herauszutreten und eine separate Gruppe zu bilden. Dabei lächelte er die ganze Zeit, um unseren Argwohn zu zerstreuen. Die Männer, die angaben, Deutsch zu können, wurden weggebracht und kamen nie wieder. Ihre Namen tauchten nicht auf der Liste der Überlebenden auf und kein Stift wird jemals in der Lage sein, die Qualen, unter denen sie starben, zu beschreiben. Wieder verstrichen ein paar Tage. Wir erfüllten die gleiche Aufgabe und lebten unter den gleichen Bedingungen. Die ganze Zeit arbeitete ich mit einem meiner Kollegen. Das Schicksal war uns seltsam gnädig. Vielleicht lag es daran, dass wir beide Fachmänner in unserem Metier waren, oder weil wir dazu bestimmt waren, die Leiden unserer Brüder zu bezeugen, ihre gequälten Körper zu sehen, zu überleben und darüber zu berichten. Unsere Chefs gaben mir und meinen Kollegen Kisten für Kalk. Andrejew bewachte uns. Unsere Wache war mit unserer Arbeit zufrieden. Er brachte uns eine seltene Freundlichkeit entgegen und gab sogar jedem von uns ein Stück Brot, was ein großer Genuss war, da wir uns praktisch zu Tode hungerten. Bei einigen Menschen, die von einer anderen Todesart, auf die ich später eingehen werde, verschont wurden, färbte sich die Haut gelb und sie waren vom Hunger aufgedunsen, bis sie schließlich tot umfielen. Unsere Gruppe von Arbeitern wuchs; zusätzliche Arbeitskräfte kamen hinzu. Für irgendeine Art von Gebäude wurden die Fundamente gegraben. Niemand wusste, was für ein Gebäude das werden sollte. Auf dem Platz stand ein Holzgebäude, das von einem hohen Zaun umgeben war. Die Funktion dieses Gebäudes war ein Geheimnis.
Ein paar Tage später kam ein deutscher Baumeister mit einem Assistenten, und die Bauarbeiten kamen in Gang. Es herrschte ein Mangel an Maurern, obwohl viele vorgaben, Facharbeiter zu sein, weil sie nicht zu den Leichen abkommandiert werden wollten. Die meisten dieser Männer wurden jedoch getötet. Als ich mit einer Maurerarbeit beschäftigt war, bemerkte ich einmal einen Mann, den ich von Warschau her kannte. Er hieß Razanowicz. Er hatte ein blaues Auge, woraus ich schloss, dass er bis zum Abend erschossen werden würde. Ein Ingenieur aus Warschau namens Ebert und sein Sohn arbeiteten ebenfalls mit uns, aber nach kurzer Zeit wurden auch sie hingerichtet. Das Schicksal ersparte mir nichts.
Ein paar Tage später erfuhr ich den Zweck des Gebäudes hinter dem Zaun, und die Entdeckung ließ mich vor Schreck erschaudern.
Die nächste Aufgabe für meine Kollegen und mich bestand darin, Holz zu fällen und zu verarbeiten. Es war hart für uns beide. Ich hatte eine solche Arbeit in den zurückliegenden 25 Jahren nicht mehr gemacht, und mein Kollege war Möbelschreiner von Beruf und nicht sehr geschickt mit der Axt. Aber mit meiner Hilfe gelang es ihm, seine Arbeit zu behalten. Ich bin Zimmermann von Beruf, aber viele Jahre lang hatte ich nur als Mitglied des Prüfungsausschusses der Warschauer Handwerkskammer gearbeitet. Unterdessen gingen acht weitere unbeschreibliche Tage mühevollen Daseins vorüber. Es trafen keine neuen Transporte ein. Schließlich kam am achten Tag ein neuer Transport aus Warschau.
Kapitel 5
Das Lager Treblinka war in zwei Bereiche unterteilt. Im Lager Nr. 1 gab es einen Gleisanschluss und eine Rampe zum Entladen der menschlichen Fracht, sowie eine große Freifläche, wo das Gepäck der Neuankömmlinge aufgeschichtet wurde. Juden aus dem Ausland brachten erhebliches Gepäck mit sich. Lager Nr. 1 enthielt auch das sogenannte "Lazarett", ein langes Gebäude von 30 x 6 x 2 Metern. Zwei Männer arbeiteten dort. Sie trugen weiße Kittel und hatten rote Kreuze auf ihren Ärmeln. Sie gaben sich als Ärzte aus. Sie selektierten die Alten und Kranken aus den Transporten, und setzten sie auf eine lange Bank vor einem offenen Graben hin. Hinter der Bank stellte sich eine Reihe Deutscher und Ukrainer auf und schoss den Opfern ins Genick. Die Leichen stürzten direkt in den Graben. Nachdem sich eine Anzahl Leichen angesammelt hatte, wurden diese aufgestapelt und in Brand gesteckt.
Die Wohnbaracken der Deutschen und Ukrainer lagen in einiger Entfernung, und ebenso die Lagerbüros, die Baracke der jüdischen Arbeiter, Werkstätten, Pferde- und Schweineställe, ein Lagerhaus für Lebensmittel und eine Waffenkammer. Die Kraftwagen des Lagers wurden im Hof geparkt. Für den flüchtigen Betrachter präsentierte sich das Lager eher harmlos und vermittelte den Eindruck eines echten Arbeitslagers.
Lager Nr. 2 war ganz anders. Es enthielt eine Baracke für die Arbeiter, 30 x 10 Meter, eine Wäscherei, ein kleines Labor, eine Unterkunft für 17 Frauen, einen Wachposten und einen Brunnen. Darüber hinaus gab es 13 Kammern, in denen die Opfer mit Gas erstickt wurden. Alle diese Gebäude wurden von einem Stacheldrahtzaun umgeben. Jenseits dieser Einfriedung gab es einen Graben von 3 x 3 Metern und entlang des äußeren Randes des Grabens einen weiteren Stacheldrahtzaun. Beide Einfriedungen waren etwa 3 Meter hoch, und es gab einen Drahtverhau zwischen ihnen. Ukrainer standen entlang des Drahtverhaus Wache. Das gesamte Lager (Lager 1 und 2) umgab ein Stacheldrahtzaun von 4 Metern Höhe, der mit jungen Bäumchen getarnt war. Vier Wachtürme standen auf dem Lagergelände, jeder von ihnen vier Stockwerke hoch. Es gab auch sechs einstöckige Wachtürme. Fünfzig Meter hinter der letzten Umzäunung waren spanische Reiter aufgestellt.
Als ich im Lager ankam, waren schon drei Gaskammern in Betrieb. Weitere zehn wurden hinzugefügt, während ich dort war. Eine Gaskammer maß 5 x 5 Meter und war etwa 1,90 Meter hoch. Der Abzug auf dem Dach hatte einen luftdichten Verschluss. Die Kammer war mit einem Zugang zu einer Gasleitung ausgestattet und besaß einen Fußboden aus Steingutfliesen, der nach einer Rampe hin schräg abfiel. Der Backsteinbau, in dem die Gaskammern untergebracht waren, war von Lager Nr. 1 durch eine Bretterwand abgetrennt. Diese Bretterwand und die Mauer des Gebäudes bildeten zusammen einen Korridor, der 80 Zentimeter höher als das Gebäude war. Die Kammern waren mit dem Korridor durch eine luftdicht schließende Eisentür verbunden, die jeweils in eine der Kammern führte. Auf der Seite zum Lager Nr. 2 hin waren die Kammern durch eine Rampe von vier Metern Breite verbunden. Diese Rampe verlief entlang der Außenseite der drei Kammern. Die Plattform lag etwa 80 Zentimeter über dem Erdboden. Auf dieser Seite befand sich auch eine luftdicht verschließende Holztür.
Jede Kammer hatte eine Tür nach Lager 2 (2,50 mal 1,80 Meter), die nur von außen geöffnet werden konnte, indem man sie mit eisernen Stützen anhob. Geschlossen wurden sie mithilfe von Eisenhaken, die in den Flügelrahmen angesetzt waren, und durch hölzerne Türriegel. Die Opfer wurden in die Kammern durch die Türen geführt, die vom Korridor abgingen, während die sterblichen Reste der vergasten Opfer durch die Türen gezogen wurden, die nach Lager 2 ausgerichtet waren. Das Kraftwerk neben diesen Kammern belieferte Lager 1 und 2 mit Strom. Ein Motor eines zerlegten sowjetischen Panzers stand in diesem Raum. Der Motor wurde verwendet, um das Gas zu pumpen, das in die Kammern eingeleitet wurde, indem der Motor mit den Leitungsrohren verbunden wurde. Die Geschwindigkeit, mit der die hilflosen Opfer den Tod fanden, hing von der Menge der Verbrennungsgase ab, die man jeweils in die Kammer ließ.
Die Maschinerie der Gaskammern wurde von zwei Ukrainern betrieben. Einer von ihnen, Iwan[4], war groß, und obwohl seine Augen freundlich und sanft waren, war er ein Sadist. Er genoss es, seine Opfer zu quälen. Er stürzte sich oft auf uns, während wir arbeiteten. Er nagelte unsere Ohren an die Bretterwand oder befahl, uns auf den Boden hinzulegen, und peitschte uns brutal aus. Während er dies tat, zeigte sein Gesicht sadistische Befriedigung, und er lachte und scherzte. Er erledigte die Opfer je nach momentaner Laune. Der andere Ukrainer hieß Mikolaj[5]. Er hatte ein blasses Gesicht und die gleiche Mentalität wie Iwan.
An dem Tag, als ich zum ersten Mal sah, wie Männer, Frauen und Kinder in das Haus des Todes geführt wurden, verlor ich fast den Verstand. Ich raufte mir die Haare und vergoss aus Verzweiflung bittere Tränen. Ich litt am meisten, wenn ich die Kinder sah, die von ihren Müttern begleitet wurden oder allein zu Fuß waren. Sie waren völlig ahnungslos angesichts der Tatsache, dass ihr Leben innerhalb von wenigen Minuten unter schrecklichsten Qualen ausgelöscht werden würde. In ihren Augen spiegelten sich Angst und vielleicht noch mehr Erstaunen wieder. Es schien, als ob die Fragen: "Was ist das? Was soll das hier?" auf ihren Lippen standen. Aber da sie die versteinerten Mienen der Älteren sahen, passten sie ihr Verhalten den Gegebenheiten an. Sie standen entweder regungslos da oder drückten sich eng aneinander oder an ihre Elternund warteten angespannt auf ihr schreckliches Ende.
Plötzlich flog die Eingangstür auf und Iwan kam heraus. Er hielt ein schweres Gasleitungsrohr von etwa einem Meter Länge in den Händen. Auch Mikolaj kam heraus und schwang einen Säbel. Auf ein bestimmtes Signal hin begannen sie gewöhnlich, die Opfer hereinzulassen. Sie schlugen sie brutal, während sie in die Kammern gingen. Das Kreischen der Frauen, das Weinen der Kinder, Schreie der Verzweiflung und des Elends, das Flehen um Gnade und Gottes Rache, dröhnen mir bis heute in den Ohren, so dass es unmöglich ist, das erlebte Elend zu vergessen.
Zwischen 450 und 500 Menschen wurden in eine Kammer von 25 Quadratmetern gepfercht. Eltern trugen ihre Kinder auf dem Arm in der vergeblichen Hoffnung, dass dies die Kinder vor dem Tod retten würde. Auf dem Weg ins Verderben wurden sie gestoßen und mit Gewehrkolben und Iwans Gasleitungsrohr geschlagen. Bellende Hunde wurden auf sie gehetzt, die bissen und an ihnen zerrten. Um den Schlägen und Hunden zu entkommen, eilte die Menge in den Tod und drängelte in die Kammer, die Stärkeren schoben die Schwächeren vor sich her. Der Krawall dauerte nur kurze Zeit. Der Raum füllte sich, die Türen wurden geschlossen, der Motor angelassen und mit den Gasrohren verbunden. Innerhalb von höchstens 25 Minuten lagen alle tot da oder, um genauer zu sein, standen im Tode aufrecht. Da es keinen freien Zentimeter Platz gab, lehnten sie einfach aneinander.
Sie schrien nicht länger, weil ihr Lebensfaden durchtrennt worden war. Sie hatten keine Bedürfnisse und Wünsche mehr. Selbst im Tod hielten Mütter ihre Kinder fest in den Armen. Es gab weder Freund noch Feind. Auch die Eifersucht war verschwunden. Alle waren gleich. Es gab weder schön noch hässlich, denn sie waren alle gelb vom Gas. Es gab weder reich noch arm, denn vor Gottes Thron waren alle gleich. Und warum geschah dies alles? Immerfort stelle ich mir diese Frage. Mein Leben ist hart, sehr hart. Aber ich muss weiterleben, um der Welt von dieser ganzen Barbarei zu erzählen.
Sobald die Vergasung zu Ende war, überzeugten sich Iwan und Mikolaj von dem Resultat, begaben sich auf die andere Seite, öffneten die Türen, die zur Rampe gingen, und fingen an, die Leichen herauszuheben. Es war unsere Aufgabe, die Leichen zu den Gruben zu tragen. Wir waren todmüde von der ganztägigen Arbeit auf der Baustelle, aber wir konnten keinen Einspruch einlegen und hatten keine andere Wahl als zu gehorchen. Wir hätten uns weigern können, aber das hätte ein Auspeitschen oder den Vergasungstod oder noch Schlimmeres zur Folge gehabt. So gehorchten wir ohne Murren.
Wir arbeiteten unter der Aufsicht eines Hauptmanns, eines Mannes mittlerer Größe mit Brille, dessen Namen ich nicht kenne. Er peitschte uns aus und schrie uns an. Er schlug auch mich ohne Unterlass. Als ich ihm einen fragenden Blick zuwarf, hörte er einen Moment auf, mich zu schlagen, und sagte: "Wenn du nicht der Zimmermann bist, dann wirst du getötet."[6] Ich schaute mich um und sah, dass fast alle anderen Arbeiter mein Los teilten. Eine Hundemeute war zusammen mit Deutschen und Ukrainern auf uns losgelassen worden. Fast ein Viertel der Arbeiter wurde getötet. Die übrigen warfen die Leichen in die Gruben, ohne viel Wirbel zu machen. Zu meinem Glück entließ mich der Unterscharführer von dieser Arbeit, als der Hauptmann wegging.
Zwischen zehn- und zwölftausend Menschen wurden jeden Tag vergast. Wir bauten eine Schmalspurbahn und brachten die Leichen auf Loren zu den Gruben.
Eines Abends ließ man uns nach einem anstrengenden Arbeitstag ins Lager 1 anstatt ins Lager 2 marschieren. Hier bot sich uns ein ganz anderes Bild, das ich nie vergessen werde. Mir gefror das Blut in den Adern. Der Hof war mit Tausenden von Leichen übersät, den Leichen der jüngsten Opfer. Deutsche und Ukrainer bellten Befehle und schlugen mit Gewehrkolben und Stöcken brutal auf die Arbeiter ein. Die Gesichter der Arbeiter waren blutig, ihre Augen schwarz und ihre Kleidung von den Hunden zerfetzt. Die Kapos standen neben ihnen.
Ein einstöckiger Wachturm stand am Eingang von Lager Nr. 2. Man bestieg ihn mithilfe einer Leiter, und diese Leiter wurde verwendet, um einige der Opfer zu foltern. Die Beine wurden zwischen die Sprossen gelegt und der Kapo hielt den Kopf des Opfers in einer solchen Weise, dass der arme Kerl sich nicht bewegen konnte, während er brutal geschlagen wurde. Die minimale Strafe betrug 25 Schläge. Ich sah diese Szene zum ersten Mal an diesem Abend. Der Mond und die Scheinwerfer warfen ein unheimliches Licht auf dieses schreckliche Massaker an den Lebenden, sowie auf die Leichen, die überall herumlagen. Das Stöhnen der Gefolterten mischte sich mit dem Knallen der Peitschenhiebe,m es herrschte ein Höllenlärm.
Als ich im Lager Nr. 2 eintraf, gab es dort nur eine Baracke. Die Kojen waren noch nicht fertig. Es gab eine Küche im Hof. Ich sah dort eine Reihe von Leuten, die ich aus Warschau kannte, aber sie hatten sich so stark verändert, dass es schwierig war, sie zu erkennen. Sie waren geschlagen worden, ausgehungert und misshandelt. Ich sah sie nicht lange, denn neue Gesichter und neue Freunde traten auf den Plan. Es war ein ständiges Kommen und Gehen und ein Sterben ohne Ende. Ich gewöhnte mich daran, in jeder lebenden Person eine zukünftige Leiche zu sehen. Ich musterte jeden mit meinen Augen und schätzte sein Gewicht. Wer würde ihn zu Grabe tragen und wie sehr würde der Träger geschlagen werden, wenn er den Leichnam zu den Gruben schleifte? Es war schrecklich, aber trotzdem wahr. Können Sie glauben, dass ein Mensch, der unter solchen Zuständen lebt, tatsächlich lächeln und manchmal Witze machen kann? Man kann sich an alles gewöhnen.
Kapitel 6
Das deutsche System ist eines der effizientesten der Welt. Es hat Behörden über Behörden, Abteilungen und Unterabteilungen. Und, ganz wichtig, es ist immer der richtige Mann am richtigen Ort. Wann immer rücksichtslose Entschlossenheit und eine vollständige Vernichtung von "bösartigen und subversiven Elementen" erforderlich sind, findet man gute Patrioten, die jeden Befehl ausführen. Es lassen sich immer Männer finden, die bereit sind, ihre Mitmenschen auszumerzen und zu töten. Ich sah sie nie Mitleid oder Bedauern zeigen. Sie zeigten niemals Erbarmen mit den unschuldigen Opfern. Sie waren Automaten, die ihre Aufgaben ausführten, sobald ein Vorgesetzter auf den Knopf drückte.
Solche menschlichen Hyänen finden immer ein weites Betätigungsfeld in Zeiten von Krieg und Revolution. Für sie ist der Weg des Bösen einfacher und angenehmer als jeder andere. Aber eine feste und gerechte Ordnung, flankiert von Bildung, guten Vorbildern und kluger Disziplin, kann diese bösen Tendenzen in Schach halten.
Bösartige Typen lauern an verruchten Orten, wo sie ihre subversiven Aktivitäten entfalten. Heute ist alle Moral überflüssig geworden. Je bösartiger und verkommener einer ist, desto höher ist die Position, die er bekleiden wird. Das Weiterkommen hängt davon ab, wie viel einer zerstört oder wie viele er umgebracht hat. Man zollt Leuten Respekt, an deren Händen Blut klebt, und es besteht keine Notwendigkeit für sie, ihre Hände zu waschen. Ganz im Gegenteil, werden diese emporgehalten, so dass die Welt ihnen Respekt zollen kann. Je schmutziger das Gewissen und die Hände, desto größeren Ruhm erwerben die Besitzer.
Ein weiterer erstaunlicher Charakterzug der Deutschen ist ihre Fähigkeit, in der Bevölkerung anderer Nationen Hunderte von verkommenen Typen wie sie selbst ausfindig zu machen, und sie für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. In den Lagern für Juden gibt es einen Bedarf an jüdischen Henkern, Spionen und Lockvögeln. Die Deutschen haben es geschafft, sie zu finden, schändliche Kreaturen wie Moyshke aus dem nahen Sochaczew, Itzik Kobyla aus Warschau, Chaskiel den Dieb, und Kuba, einen Dieb und Zuhälter, beide in Warschau geboren und aufgewachsen.
Kapitel 7
Der neue Auftrag zur Errichtung eines Gebäudes zwischen Lager Nr. 1 und Lager Nr. 2, bei dem ich mitgewirkt hatte, wurde in sehr kurzer Zeit abgeschlossen. Es stellte sich heraus, dass wir zehn zusätzliche Gaskammern gebaut hatten, die geräumiger als die alten waren, d. h. 7 mal 7 Meter bzw. etwa 50 Quadratmeter. Bis zu 1.000 oder gar 1.200 Personen konnten in eine Gaskammer gedrängt werden. Das Gebäude wurde nach dem Korridorprinzip angelegt, und zwar mit fünf Kammern auf jeder Seite des Korridors. Jede Kammer besaß zwei Türen.Eine führte zum Flur, durch den die Opfer eingelassen wurden; die andere Tür, mit Blick auf das Lager, wurde für die Beseitigung der Leichen verwendet. Der Aufbau der beiden Türen war der gleiche wie bei den Türen in den alten Kammern. Wenn man das Gebäude von Lager Nr. 1 aus sah, dann konnte man fünf breite Treppen aus Beton sowie Blumenkübel auf beiden Seiten erblicken. Als nächstes kam ein langer Korridor. Ein Davidstern befand sich auf dem Dach mit Blick auf den Lagerplatz, so dass das Gebäude wie eine altmodische Synagoge aussah. Als der Bau fertig war, sagte der Hauptsturmführer zu seinen Untergebenen: "Endlich [ist] die Judenstadt fertig."
Die Arbeit an diesen Gaskammern dauerte fünf Wochen, die uns wie Jahrhunderte vorkamen. Wir mussten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang unter der unaufhörlichen Bedrohung von Peitschenhieben und Schlägen mit Gewehrkolben arbeiten. Einer der Wachmänner, Woronkov, folterte uns brutal und tötete jeden Tag einige Arbeiter. Obwohl unser körperliches Leiden die Vorstellungskraft normaler Menschen sprengte, waren unsere seelischen Qualen noch viel schlimmer. Jeden Tag kamen neue Transporte mit Opfern. Sie wurden sofort angewiesen, sich auszuziehen, dann wurden sie zu den drei alten Gaskammern geführt, wobei sie an uns vorbeikamen. Viele von uns entdeckten ihre Kinder, Frauen und andere Angehörige unter den Opfern. Wenn jemand von Verzweiflung getrieben zu seinen Lieben stürzte, tötete man ihn auf der Stelle. Unter solchen Zuständen errichteten wir die Todeskammern für unsere Brüder und uns selbst.
Das dauerte fünf Wochen. Nachdem die Arbeiten an den Gaskammern abgeschlossen waren, wurde ich wieder nach Lager Nr. 1 überstellt, wo mir die Einrichtung einer Friseurbaracke übertragen wurde. Bevor die Deutschen die Frauen töteten, schnitten sie ihnen die Haare ab und sammelten alles sorgfältig ein. Ich habe nie erfahren, zu welchem Zweck das geschah.
Meine Unterkunft befand sich noch immer im Lager Nr. 2, aber aufgrund des Mangels an Handwerkern wurde ich jeden Tag ins Lager Nr. 1 gebracht. Unterscharführer Hermann war meine Eskorte. Er war etwa 50 Jahre alt, groß und freundlich. Er verstand uns und hatte Mitleid mit uns. Das erste Mal, als er ins Lager Nr. 2 kam und die Berge von vergasten Leichen sah, wurde er blass und zeigte Entsetzen und Mitleid. Er ging mit mir sofort weg, um dem grausamen Schauplatz zu entkommen. Er behandelte uns Arbeiter sehr gut. Oft brachte er uns aus der deutschen Küche heimlich etwas zu essen mit. Es gab so viel Freundlichkeit in seinen Augen, dass man versucht gewesen wäre, ihm das Herz auszuschütten. Doch er sprach nie mit den Häftlingen. Er hatte Angst vor seinen Kameraden. Doch jede seiner Bewegungen und Handlungen bewies seinen aufrechten Charakter.
Während ich im Lager Nr. 1 arbeitete, trafen viele Transporte ein. Jedes Mal, wenn ein neuer Transport kam, wurden die Frauen und Kinder sofort in die Baracke getrieben, während die Männer im Hof festgehalten wurden. Letztere wurden angewiesen, sich zu entkleiden, während die Frauen, die naiverweise eine Gelegenheit zum Duschen sahen, Handtücher und Seife auspackten. Jedoch schrien die brutalen Wachen alles nieder, versetzten den Opfern Tritte und verteilten Schläge. Die Kinder weinten, während die Erwachsenen stöhnten und schrien. Das machte alles nur schlimmer und das Auspeitschen wurde noch grausamer.
Die Frauen und Mädchen wurden dann zur Friseurbaracke gebracht, wo ihnen die Haare abgeschnitten wurden. Zu diesem Zeitpunkt waren sie sicher, dass man sduschen lassen würde. Dann wurden sie durch einen anderen Ausgang ins Lager Nr. 2 eskortiert, wo sie auch bei Frost nackt ausharren und ihrerseits darauf warten mussten, in die Gaskammer zu gehen, aus der noch nicht der letzte Schub Opfer ausgeräumt worden war.
Während des ganzen Winters mussten kleine Kinder splitternackt und barfuß im Freien stundenlang warten, bis sie in den zunehmend ausgelasteten Gaskammern an die Reihe kamen. Die Sohlen ihrer Füße gefroren und klebten an dem eisigen Boden fest. Sie standen da und weinten, einige von ihnen erfroren. In der Zwischenzeit liefen Deutsche und Ukrainer die Reihen auf und ab und schlugen und traten die Opfer.
Einer der Deutschen, ein Mann namens Sepp[7], war eine abscheuliche und primitive Bestie, die besonderen Gefallen an der Folterung von Kindern fand. Wenn er Frauen herumschubste und sie ihn anflehten, damit aufzuhören, weil sie Kinder dabei hatten, entriss er häufig ein Kind den Armen seiner Mutter und riss das Kind entweder in zwei Hälften oder packte es an den Beinen, schlug seinen Kopf gegen eine Wand und warf den Körper weg. Solche Vorfälle waren keineswegs selten. Tragische Szenen dieser Art ereigneten sich die ganze Zeit.
Die Männer erlitten weit schlimmere Folterungen als die Frauen. Sie mussten sich im Hof ausziehen, ihre Kleidung zu einem ordentlichen Bündel zusammenlegen und das Bündel an einen bestimmten Ort tragen, um es auf einen Stapel zu legen. Sie mussten dann in die Baracke gehen, wo die Frauen sich ausgezogen hatten, und deren Kleidung heraustragen und sie richtig sortieren. Danach wurden sie aufgereiht und die Gesündesten, Stärksten und Muskulösen unter ihnen wurden geschlagen, bis Blut floss.
Als nächstes mussten alle Männer und Frauen, Alte und Kinder sich dem Zug anschließen, der von Lager 1 zu den Gaskammern im Lager 2 ging. Entlang der Gasse zu den Kammern stand eine Bude, in der ein Angehöriger des Lagerpersonals saß und den Menschen befahl, all ihre Wertsachen auszuhändigen. Die unglücklichen Opfer versuchten in dem Irrglauben, dass sie am Leben bleiben würden, alles, was sie konnten, zu verstecken. Aber die deutschen Verbrecher schafften es, alles zu finden, wenn nicht bei den Lebenden, dann später bei den Toten. Jeder, der sich der Bude näherte, musste seine Arme hoch nehmen, und so zog die ganze makabre Prozession mit erhobenen Armen stillschweigend vorüber in die Gaskammern.
Ein Jude war von den Deutschen ausgesucht worden, um als vermeintlicher "Bademeister" zu fungieren. Er stand am Eingang des Gaskammergebäudes und forderte alle auf, schnell hineinzugehen, bevor das Wasser kalt werde. Was für ein Hohn! Mit Brüllen und Schlägen wurden die Menschen in die Kammern gejagt.
Wie ich bereits bemerkt habe, gab es nicht viel Platz in den Gaskammern. Die Menschen wurden einfach durch Überbelegung erstickt. Der Motor, der das Gas in den neuen Kammern erzeugte, war störanfällig, so dass die hilflosen Opfer stundenlang leiden mussten, bevor sie starben. Der Teufel selbst hätte keine perfidere Folter erfinden können. Wenn die Kammern wieder geöffnet wurden, waren viele der Opfer nur halb tot und mussten mit Gewehrkolben, Kugeln oder kräftigen Tritten getötet werden.
Oft wurden die Menschen in den Gaskammern über Nacht eingesperrt, ohne dass der Motor überhaupt angelassen wurde. Überbelegung und Luftmangel töteten viele von ihnen auf eine sehr schmerzhafte Art. Allerdings überlebten viele die Qual solcher Nächte. Besonders Kinder zeigten einen bemerkenswerten Grad an Widerstandsfähigkeit. Sie waren noch am Leben, als sie in der Frühe aus den Kammern gezogen wurden, aber die Revolver der Deutschen machten kurzen Prozess mit ihnen.
Die deutschen Verbrecher waren besonders erfreut, wenn Transporte mit Opfern aus dem Ausland kamen. Derartige Umsiedlungen erregten dort wahrscheinlich große Empörung. Um bei den Deportierten weniger Verdacht auf das, was ihnen bevorstand, entstehen zu lassen, wurden diese Opfer in Reisezügen befördert und durften mitnehmen, was sie brauchten. Diese Leute waren gut gekleidet und führten erhebliche Mengen Lebensmittel und Bekleidung mit sich. Während der Zugfahrt standen ihnen Dienstpersonal und sogar ein Speisewagen zur Verfügung. Aber bei ihrer Ankunft in Treblinka wurden sie mit der krassen Wirklichkeit konfrontiert. Sie wurden aus den Zügen gezogen und auf die gleiche Weise behandelt wie oben beschrieben. Am nächsten Tag waren sie von der Bildfläche verschwunden und alles, was von ihnen übrig blieb, war ihre Kleidung, ihre Nahrungsmittel und die makabre Aufgabe, sie zu begraben.
Die Zahl der Transporte wuchs täglich, und es gab Zeiten, in denen nicht weniger als 20.000 Menschen an einem Tag vergast wurden. Dann waren alle 13 Gaskammern in Betrieb. Alles, was wir hörten, waren Schreie, Flehen und Stöhnen. Diejenigen, die am Leben gelassen wurden, um die Arbeit in den Lagern zu verrichten, konnten an den Tagen, als diese Transporte ankamen, weder essen noch ihre Tränen zurückhalten. Die weniger Widerstandsfähigen unter uns, vor allem die Intellektuellen, erlitten Nervenzusammenbrüche. Nachdem sie den ganzen Tag Leichen abgefertigt hatten, klangen ihnen noch die Schreie und das Stöhnen der Opfer in den Ohren und viele erhängten sich, sobald sie am Abend in die Baracke zurückkehrten. Solche Selbstmorde geschahen mit einer Rate von 15 bis 20 pro Tag.
Diese Menschen waren nicht in der Lage, die Misshandlungen und Qualen auszuhalten, die ihnen von den Kapos und den Deutschen zugefügt wurden.
Eines Tages kam ein Transport aus Warschau, aus dem einige Männer als Arbeitskräfte für Lager 2 ausgewählt wurden. Unter ihnen sah ich ein paar Leute, die ich aus der Vorkriegszeit kannte. Sie waren für diese Art von Arbeit nicht geeignet.
Noch am selben Tag konnte einer unserer Männer namens Kuszer die Folter nicht länger ertragen und griff seinen Peiniger, den deutschen Oberscharführer Matjas[8] von Lager 2, der ein Teufel und Mörder war, an und verwundete ihn. Der Hauptsturmführer traf am Ort des Geschehens ein und schickte sämtliche Handwerker fort. Die anderen Häftlinge des Lagers wurden an Ort und Stelle mit stumpfen Werkzeugen massakriert.
Ich war einmal dabei, in dem Wäldchen zwischen den beiden Lagern zu arbeiten, und schlug Bauholz. Die Prozessionen von nackten Kindern, Männern und alten Menschen zogen an dieser Stelle in einer stillen Todeskarawane vorbei. Das Einzige, was wir hören konnten, waren die Schreie der Mörder - die Opfer liefen schweigend. Hin und wieder wimmerte ein Kind, aber dann packten Mörderhände seinen dünnen Hals wie ein Schraubstock und würgten das letzte klagende Schluchzen ab. Die Opfer liefen mit erhobenen Armen, nackt und hilflos in ihr Verderben.
Kapitel 8
Zwischen den beiden Lagern standen die Unterkunftsbaracken der ukrainischen Wachmänner. Die Ukrainer waren ständig betrunken und verkauften alles, was sie in den Lagern stehlen konnten, um mehr Geld für Schnaps zu bekommen. Die Deutschen beobachteten sie und nahmen ihnen die Beute oft weg.
Wenn sie gegessen und ordentlich gezecht hatten, sahen sich die Ukrainer nach anderen Vergnügungen um. Oft suchten sie sich die am besten aussehenden jüdischen Mädchen aus den Gruppen von nackten Frauen, die an ihren Quartieren vorbeikamen, verschleppten sie in ihre Baracken, vergewaltigten sie brutal und überließen sie dann den Gaskammern. Nachdem sie von ihren Henkern geschändet worden waren, starben die Mädchen in den Gaskammern den Märtyrertod.
Bei einer Gelegenheit trat ein Mädchen aus der Reihe. Nackt, wie sie war, überwand sie einen drei Meter hohen Stacheldrahtzaun und versuchte, in unsere Richtung zu entkommen. Die Ukrainer bemerkten es und nahmen die Verfolgung auf. Einer von ihnen erreichte sie fast, aber er war zu nah, um zu schießen. Da riss sie ihm das Gewehr aus der Hand. Es war nicht leicht, das Feuer auf sie zu eröffnen, da überall Wachmänner herumstanden und die Gefahr bestand, dass einer der ihren getroffen werden könnte. Aber als das Mädchen die Waffe hielt, löste sich ein Schuss und tötete einen der Ukrainer. Die Ukrainer sahen rot. In ihrer Wut kämpfte das Mädchen mit dessen Kameraden. Sie schaffte es, einen weiteren Schuss abzugeben, der noch einen Ukrainer traf, dessen Arm später amputiert werden musste. Schließlich ergriffen sie sie. Sie bezahlte teuer für ihren Mut. Sie wurde grün und blau geschlagen, bespuckt, getreten und schließlich getötet. Sie war unsere namenlose Heldin.
Ein anderes Mal kam ein Transport aus Deutschland. Die Neuankömmlinge wurden dem üblichen Procedere unterworfen. Als die Menschen sich entkleiden mussten, trat eine der Frauen mit ihren zwei Kindern, beides Jungen, nach vorne. Sie zeigte ihre Ausweispapiere vor, die bewiesen, dass sie rein deutschen Blutes war und diesen Zug aus Versehen bestiegen hatte. Alle ihre Dokumente wurden für in Ordnung befunden, und ihre beiden Söhne waren nicht beschnitten. Sie war eine gutaussehende Frau, aber der Schrecken stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie drückte ihre Kinder an sich und versuchte, sie zu beruhigen und sagte, dass ihre Probleme bald geklärt würden und sie nach Hause zu ihrem Vater zurückkehren würden. Sie streichelte und küsste sie, aber sie weinte, weil sie von einer schrecklichen Vorahnung geplagt wurde.
Die Deutschen befahlen ihr zu gehen. Sie dachte, dass dies die Freiheit für sie und ihre Kinder bedeutete, und beruhigte sich. Aber ach, es war beschlossen worden, dass sie zusammen mit den Juden zugrunde gehen müsse, denn sie hatte zu viel gesehen und könnte über all das sprechen, was sie gesehen hatte und was der Geheimhaltung unterliegen sollte. Wer die Schwelle von Treblinka übertrat, war zum Tode verurteilt. Deshalb ging diese deutsche Frau mit ihren Kindern in den Tod - zusammen mit all den anderen. Ihre Kinder weinten genauso wie die jüdischen Kinder, und ihre Augen spiegelten die gleiche Verzweiflung wieder, denn im Tod gibt es keine Rassenunterschiede, alle sind gleich. Ihr Mann wird wahrscheinlich an der Front fallen, und sie wurde im Lager getötet.
Während ich im Lager Nr. 1 war, gelang es mir, die Identität bestimmter Juden herauszufinden, die ich gelbe Flicken tragen sah. Es stellte sich heraus, dass es sich um Fachleute und Handwerker handelte, die aus früheren Transporten am Leben gelassen worden waren. Sie waren es, die Treblinka errichtet hatten. Sie hatten gehofft, nach dem Krieg freigelassen zu werden, aber das Schicksal wollte es anders. Es war entschieden worden, dass jeder sterben musste, der einmal die Schwelle dieses Infernos überschritten hatte. Es ging nicht an, Zeugen zurückzulassen, die den Ort identifizieren konnten, an dem diese teuflischen Verbrechen begangen worden waren.
Unter diesen Männern gab es Juweliere. Sie begutachteten die Güter aus Edelmetallen, die die Deportierten mitgebracht hatten. Es war ziemlich viel davon da. Das Sortieren und Bewerten geschah in einer separaten Baracke, der keine besondere Wache zugeteilt worden war. Es gab nämlich keinen Grund anzunehmen, dass diese Männer in der Lage gewesen wären, irgendetwas von der Beute zu stehlen. Wo sollten sie ihre Diebesbeute unterbringen? Schließlich würde das, was ihnen vielleicht zu stehlen gelang, nur wieder bei den Deutschen landen.
Die Ukrainer hingegen waren außer Rand und Band. Sie hatten keine Ahnung von seinem Wert, aber es reichte aus, ihnen etwas geben, was glänzte, und ihnen zu sagen, dass es Gold sei. Wenn Umsiedlungen stattfanden, brachen die Ukrainer in die Häuser der Juden ein und verlangten Gold. Sie taten dies ohne Wissen der Deutschen und wandten natürlich Terrormethoden an. Sie nahmen, was ihnen gegeben wurde. Ihre Gesichter waren gierig und wild und riefen Angst und Abscheu bei diejenigen hervor, die mit ihnen zu tun hatten. Sie versteckten die Beute sehr sorgfältig, um etwas zu haben, das sie ihren Familien als Kriegsbeute zeigen konnten. Einige Ukrainer stammten aus den umliegenden Dörfern, andere hatten in der Nähe Freundinnen, denen sie Geschenke machen wollten. Ein Teil ihrer Beute wurde immer gegen Alkohol eingetauscht. Sie waren schreckliche Saufbolde.
Als den Ukrainern auffiel, dass die Juden praktisch ohne Aufsicht mit dem Gold hantierten, nötigten sie die Arbeiter, es zu stehlen. Die Juden wurden gezwungen, den ukrainischen Wachen Diamanten und Gold zu liefern, ansonsten würden sie getötet. Tag für Tag nahm eine Bande Ukrainer Wertsachen aus dem Raum, wo die Wertsachen der Deportierten aufbewahrt wurden. Einer der Deutschen bemerkte dies, und natürlich waren es die Juden, die die Strafe ausbaden mussten. Sie wurden gefilzt, und die Durchsuchung förderte Gold und Edelsteine zutage. Sie konnten sich nicht darauf berufen, dass sie diese Sachen unter Zwang gestohlen hätten. Die Deutschen hätten ihnen dies nicht abgenommen. Sie wurden gefoltert und waren jetzt schlechter dran als die Arbeiter im Lager. Nur die Hälfte der 150 Männer wurde am Leben gelassen. Wer überlebte, erlitt Hunger, Elend und unglaubliche Folterungen.
Der gesamte Platz war mit einer Unmenge von Gütern übersät, da all diese Menschen Millionen von Kleidungsstücken und so weiter hinterließen. Da sie alle davon ausgegangen waren, dass sie bloß an einen unbekannten Ort umgesiedelt und nicht in den Tod geschickt werden sollten, hatten sie ihre besten und wichtigsten Besitztümer mitgenommen. Der Lagerplatz in Treblinka füllte sich mit allem, was das Herz begehrt. Es gab alles in Hülle und Fülle. Als ich vorüberging, sah ich eine Unmenge von Füllfederhaltern, echten Tee und Kaffee. Der Boden war buchstäblich mit Süßigkeiten bestreut. Transporte mit Menschen aus dem Ausland waren gut versorgt mit Fetten eingetroffen. All die Deportierten waren zuversichtlich gewesen, dass sie am Leben bleiben würden.
Juden wurden zum Sortieren der Habseligkeiten eingesetzt. Sie mussten die Sachen systematisch zusammentragen, weil jeder Gegenstand einem bestimmten Zweck dienen sollte. Alles, was die Juden zurückgelassen hatten, hatte seinen Wert und seine Bestimmung. Nur die Juden selber wurden als wertlos angesehen. Juden mussten stehlen, was sie konnten, und die gestohlenen Gegenstände den Ukrainern übergeben. Wenn sie das nicht taten, töteten die Ukrainer sie. Auf der anderen Seite wurden die Juden auf der Stelle getötet, wenn sie auf frischer Tat ertappt wurden. Trotz der Gefahr ging der Handel weiter und ein neuer Komplize stieg dort ein, wo der vorherige aufgehört hatte. Auf diese Weise überlebten wenige Auserwählte aus Millionen - zwischen Hammer und Amboss.
Eines Tages kam ein Transport von 70 Zigeunern aus der Nähe von Warschau. Diese Männer, Frauen und Kinder waren bettelarm und besaßen nichts außer etwas schmutziger Unterwäsche und zerfetzten Lumpen. Als sie in den Hof kamen, waren sie sehr glücklich. Sie dachten, sie wären in ein verwunschenes Schloss gekommen. Aber die Henker waren ebenso glücklich, weil sie alle Zigeuner genauso ausmerzten wie die Juden. Innerhalb von ein paar Stunden war alles ruhig und nichts außer Leichen blieb zurück.
Ich arbeitete noch immer im Lager Nr. 1 und konnte mich frei bewegen. Obwohl ich dort viele schreckliche Dinge sah, war der Anblick der Menschen, die im Lager Nr. 2 vergast wurden, weit schrecklicher.
Kapitel 9
Es war praktisch entschieden worden, dass ich ständig im Lager Nr. 1 bleiben würde. Baumeister Hermann[9] und ein Tischlermeister aus Böhmen taten, was sie konnten, weil sie keinen anderen Handwerker wie mich hatten und sie mich daher brauchten. Allerdings kam Mitte Dezember 1942 ein Befehl, dass alle Häftlinge des Lagers Nr. 2 zurückkehren mussten. Da dieser Befehl nicht angefochten werden konnte, gingen wir zum Lager Nr. 2, ohne auch nur genügend Zeit zu haben, um unser Mittagessen einzunehmen.
Das Erste, was ich bei meiner Rückkehr sah, waren Leichen von neu vergasten Opfern, an denen sich "Zahnärzte" zu schaffen gemacht hatten. Sie zogen die falschen Zähne mit einer Zange heraus. Nur ein Blick auf diese grausige Prozedur genügte, um noch mehr vom Leben angewidert zu sein, als ich es bisher schon gewesen war. Die "Zahnärzte" sortierten die extrahierten Zähne nach ihrem Wert. Natürlich blieben die Zähne, die die Ukrainer in ihre Finger kriegen konnten, in deren Besitz.
Ich arbeitete eine Weile im Lager Nr. 2 und führte Reparaturarbeiten in der Küche aus. Der Küchenleiter hatte ein neues System eingeführt. Während dieser Zeit trafen weniger Transporte ein und es standen keine neuen Arbeitskräfte zur Verfügung. Damals erhielten die Arbeiter im Lager Nr. 1 Nummern und dreieckige Flicken aus Leder zur Identifikation. Für jede Gruppe gab es eine andere Farbe. Die Abzeichen wurden auf der linken Brustseite getragen. Gerüchte kursierten, dass wir Arbeiter im Lager Nr. 2 ebenfalls Nummern bekommen sollten. Aber zu dem Zeitpunkt wurde nichts daraus. Jedenfalls war das System so konzipiert, dass kein Fremder von einem ankommenden Transport sich hereinschmuggeln konnte, um sein Leben zu verlängern, wie ich es getan hatte.
Wir litten sehr unter der Kälte und sie fingen an, Decken an uns zu verteilen. Während meiner Abwesenheit von Lager Nr. 2 war dort eine Schreinerei eingerichtet worden. Ein Bäcker aus Warschau diente als Vorarbeiter. Seine Aufgabe war es, Krankentragen herzustellen, mit denen die Leichen aus den Gaskammern zu den Massengräbern getragen wurden. Die Tragbahren waren sehr primitiv gebaut. Nur zwei Stangen, auf die in Abständen Holzstücke genagelt wurden.
Der Hauptsturmführer und die beiden Chefs befahlen mir, eine Wäscherei, ein Labor und Unterkünfte für 15 Frauen zu bauen. Alle diese Bauten mussten aus alten Materialien errichtet werden. Zu der Zeit wurden in der Umgebung Gebäude aus jüdischem Besitz abgetragen. Ich konnte sie anhand ihrer Hausnummern erkennen. Ich wählte meine Arbeiter aus und begann mit der Arbeit. Ich brachte einiges neues Holz selbst aus dem Wald mit. Die Zeit verflog während der Arbeiten.
Aber es gab neue Ereignisse, die uns emotional aus der Bahn warfen. Es war zu der Zeit, als die Deutschen viel über Katyn sprachen, das sie für ihre Propaganda nutzten. Eines Tages bekamen wir zufällig eine Zeitung in unsere Hände, aus der wir von diesem Massenmord erfuhren. Es waren wohl diese Berichte, die Himmler dazu veranlassten, Treblinka persönlich zu besuchen und anzuordnen, dass künftig alle Leichen der Häftlinge verbrannt werden sollten. Es gab viele Leichen zu verbrennen - es war niemand mit Ausnahme der Deutschen da, dem die Morde von Treblinka hätten angelastet werden können. Denn zu dieser Zeit waren die Deutschen die Herren des Landes, das sie uns mit roher Gewalt entrissen hatten. Sie wollten keinen Beweis ihrer Massenmorde zurücklassen.
Umgehend begannen die Einäscherungen. Die Leichen der Männer, Frauen, Kinder und alten Menschen wurden aus den Massengräbern exhumiert. Immer wenn ein solches Grab geöffnet wurde, stieg ein schrecklicher Gestank auf, weil die Leichen bereits in einem fortgeschrittenen Stadium der Verwesung waren. Diese Arbeit führte zu weiteren physischen und moralischen Qualen derjenigen, die dazu gezwungen wurden. Wir, die Lebenden, fühlten erneuert Trauer, und sogar noch intensiver als zuvor. Wir hatten kaum zu essen, weil keine Transporte mehr eintrafen, sodass die glücklosen Lieferanten von Lebensmitteln der Vergangenheit angehörten. Wir griffen nicht gerne auf unsere Reserven zurück. Wir aßen nur noch schimmliges Brot, das wir mit Wasser herunterspülten. Die Unterernährung hatte eine Typhusepidemie zur Folge. Wer krank wurde, benötigte weder Medikamente noch ein Bett. Eine Kugel ins Genick und alles war vorbei.
Es wurde damit begonnen, die Toten zu verbrennen. Dabei stellte sich heraus, dass die Körper von Frauen leichter verbrannten als die der Männer. Dementsprechend wurden die Körper von Frauen für das Anfachen der Feuer verwendet. Da die Einäscherung eine harte Arbeit war, fingen Rivalitäten unter den Gruppen darüber an, welche von ihnen in der Lage sei, die größte Anzahl von Leichen zu verbrennen. Zähltafeln wurden aufgestellt und tägliche Zahlen aufgezeichnet. Dennoch waren die Resultate kümmerlich. Die Leichen wurden in Benzin getränkt. Dies verursachte erhebliche Kosten und der Erfolg war unzureichend. Die männlichen Leichen wollten einfach nicht brennen. Wenn ein Flugzeug am Himmel gesichtet wurde, wurden alle Arbeiten unterbrochen und die Leichen als Tarnung gegen Beobachtung aus der Luft mit Laub bedeckt.
Es war ein schrecklicher Anblick und der grausamste, den jemals ein menschliches Auge sah. Wenn die Leichen von schwangeren Frauen verbrannt wurden, platzten gewöhnlich ihre Bäuche. Der Fötus wurde bloßgelegt und man konnte sehen, wie er im Mutterleib brannte.
All dies machte überhaupt keinen Eindruck auf die deutschen Mörder, die herumstanden und zusahen, als ob sie eine Maschine überprüften, die nicht richtig funktionierte und deren Produktion unzureichend war.
Dann kam eines Tages ein Oberscharführer, der das SS-Abzeichen trug, ins Lager und veranstaltete ein wahres Inferno. Er war etwa 45 Jahre alt, von mittlerer Größe und hatte ein ewiges Lächeln auf seinem Gesicht. Sein Lieblingswort war "tadellos" und daher bekam er den Spitznamen Tadellos[10] . Er hatte ein freundliches Gesicht, das die verdorbene Seele dahinter nicht zeigte. Es bereitete ihm das reinste Vergnügen, die Leichen beim Verbrennen zu beobachten. Der Anblick der Flammen, die an den Leichen leckten, war ihm kostbar, und die Szenerie ergötzte ihn.
Und auf die folgende Art und Weise bekam er das Inferno in Gang. Er setzte eine Maschine zur Exhumierung der Leichen in Betrieb, einen Bagger, der 3.000 Leichen am Tag ausgraben konnte. Ein Rost aus Eisenbahnschienen von 100 bis 150 Metern Länge wurde auf Betonfundamente gelegt. Die Arbeiter schichteten die Leichen auf den Rost und steckten sie in Brand.
Ich bin kein junger Mann mehr und habe viel gesehen in meinem Leben, aber nicht einmal der Teufel hätte eine schlimmere Hölle erschaffen haben können. Können Sie sich einen Rost dieser Länge vorstellen, der mit 3.000 Leichen von Menschen hoch beladen ist, die noch vor Kurzem am Leben waren? Wie man ihre Gesichter sah, schien es, als ob die Körper jeden Moment aus ihrem tiefen Schlaf erwachen könnten. Aber auf ein Signal hin wurde eine riesige Fackel entzündet und alles verbrannte mit einer gewaltigen Flamme. Wenn man nah genug stand, konnte man sich gut vorstellen, das Stöhnen von den Lippen der schlafenden Körper zu hören und wie Kinder sich aufrichteten und um ihre Mütter weinten. Man wurde von Entsetzen und Schmerz überwältigt, aber man stand nur dort, ohne etwas zu sagen. Die Verbrecher standen in der Nähe der Asche und schüttelten sich vor satanischem Gelächter. Ihre Fratzen strahlten eine wahrhaft satanische Befriedigung aus. Sie brachten einen Toast auf die Szene aus, mit Schnaps und mit den erlesensten Likören, sie fraßen, zechten, amüsierten und wärmten sich am Feuer.
So waren die Juden von einigem Nutzen für sie, auch nachdem sie gestorben waren. Obwohl das Winterwetter bitterkalt war, gaben die Scheiterhaufen Wärme ab wie Öfen. Diese Wärme kam von den brennenden Leichen der Juden. Die Henker wärmten sich am Feuer, tranken, aßen und sangen. Allmählich begann das Feuer zu verlöschen, so dass nur Asche übrigblieb, die dazu diente, die stille Erde fruchtbar zu machen. Menschliches Blut und Asche - welcher Dünger für den Boden! Es wird eine reiche Ernte geben. Wenn bloß der Boden reden könnte! Er weiß eine Menge, aber er behält es für sich.
Tagein, tagaus fertigten die Arbeiter die Leichen ab und brachen schließlich vor körperlicher Erschöpfung und seelischer Qualen zusammen. Und während sie litten, füllten sich die Herzen der Teufel mit Stolz und Freude angesichts der Hölle, die sie geschaffen hatten. Sie spendete Licht und Wärme und verwischte zur gleichen Zeit jede Spur von den Opfern. Derweil bluteten unsere eigenen Herzen. Der Oberscharführer, der dieses Inferno geschaffen hatte, saß am Feuer, lachte, ergötzte sich daran und sagte: "tadellos!" Ihm bedeuteten die Flammen die Erfüllung seiner perversen Träume und Wünsche.
Die Verbrennung der Leichen erwies sich als voller Erfolg. Die Deutschen waren in Eile. Daher bauten sie zusätzliche Feuerroste und stockten deren Kommandos auf, so dass 10.000 bis 12.000 Leichen auf einmal verbrannt wurden. Das Ergebnis war ein riesiges Inferno, das aus der Ferne wie ein durch die Erdkruste brechender Vulkan, der Feuer und Lava spie, aussah. Die Scheiterhaufen zischten und knisterten. Rauch und Hitze machten es unmöglich, daneben zu stehen. Das alles dauerte recht lange, denn es gab mehr als 3,5 Millionen Tote zu entsorgen.[11]
Die neuen Transporte wurden in einer vereinfachten Art und Weise abgefertigt. Die Einäscherung folgte unmittelbar auf die Vergasung. Transporte kamen nun aus Bulgarien herein mit gesunden Menschen, die große Vorräte an Lebensmitteln mit sich brachten: Weißbrot, geräuchertes Lammfleisch, Käse, etc. Sie wurden ebenso wie alle anderen getötet, aber wir profitierten von den mitgebrachten Lieferungen. Als Folge verbesserte sich unsere Ernährung erheblich. Die bulgarischen Juden waren stark und stämmig. Wenn man sie sah, konnte man schwer glauben, dass sie innerhalb von 20 Minuten alle in den Gaskammern sterben sollten.
Diesen schönen Juden gewährte man keinen leichten Tod. Nur geringe Mengen von Gas wurden in die Kammern gelassen, so dass ihr Todeskampf die Nacht durch dauerte. Sie hatten auch vor Eintritt in die Gaskammern schwere Folter zu erdulden. Der Neid auf ihr wohlgenährtes Erscheinungsbild trieb die Henker dazu, sie umso mehr zu quälen.
Nach den bulgarischen Transporten kamen noch mehr Transporte aus Bialystok und Grodno. In der Zwischenzeit war ich mit dem Bau des Labors, der Wäscherei und der Räume für die Frauen fertig.
Eines Tages kam ein Transport nach Treblinka, als wir schon in unserer Baracke für die Nacht eingesperrt waren. Dementsprechend fertigten die Deutschen und Ukrainer die Opfer ohne Hilfe ab. Plötzlich hörten wir Schreie und schweres Gewehrfeuer. Wir rührten uns nicht vom Fleck und warteten ungeduldig auf den Morgen, um zu erfahren, was passiert war. Am nächsten Morgen sahen wir, dass der Platz mit Leichen übersät war. Während wir arbeiteten, erzählten uns die ukrainischen Wachmänner, dass die Menschen aus diesem Transport sich geweigert hätten, in die Gaskammern geführt zu werden, und sich verbissen zur Wehr gesetzt hätten. Sie hätten alles kurz und klein geschlagen und im Korridor, der zu den Gaskammern führte, die Truhen mit Gold aufgebrochen. Sie hätten Stöcke und jede Waffe benutzt, die sie bekommen konnten, um sich zu verteidigen. Ein Kugelhagel sei auf sie niedergegangen, und am Morgen war der Hof mit Leichen und den improvisierten Waffen übersät, die die Juden in ihrem letzten Kampf auf Leben und Tod eingesetzt hatten. Diejenigen, die im Kampf getötet worden waren, waren genauso wie die im Gas Gestorbenen fürchterlich verstümmelt. Einigen hatte man Gliedmaßen vom Körper gerissen. Im Morgengrauen war alles vorbei und die Rebellen wurden eingeäschert. Für uns war es nur eine weitere Warnung, dass wir nicht darauf hoffen konnten, unserem Schicksal zu entkommen.
Kapitel 10
Etwa zu dieser Zeit wurde die Lagerdisziplin strenger. Ein Wachlokal wurde gebaut, die Anzahl der Wachen verstärkt und ein Telefon im Lager Nr. 2 installiert. Es mangelte an Arbeitskräften und so wurden Männer von Lager Nr. 1 geschickt. Aber ihre Arbeit stellte die Deutschen nicht zufrieden, und so wurden sie ein paar Tage später umgelegt. Da sie so schlechtes Arbeitsmaterial waren, waren sie nicht das Essen wert, um sie am Leben zu erhalten.
Der Scharführer, ein deutscher Tischlermeister aus Böhmen, den ich bereits erwähnt habe, kam zu mir zur Beratung über den Bau eines vierstöckigen Wachturms des Typs, den er in Majdanek gesehen hatte. Er war sehr froh, als ich ihm alle erforderlichen Informationen gab, und belohnte mich mit etwas Brot und Wurst. Ich überlegte mir die Spezifikationen für das Holz und die Schrauben und begann mit den Bauarbeiten. Immer, wenn ich eine neue Arbeit anfing, wusste ich, dass mein Leben ein paar Wochen länger verschont bleiben würde, weil sie mich nicht umbringen würden, solange sie mich brauchten.
Als ich den ersten Turm fertig hatte, kam der Hauptsturmführer, lobte mich überschwänglich und befahl mir, drei weitere Türme des gleichen Typs rund um Lager Nr. 2 zu bauen.
Die Wache im Lager wurde verstärkt und es wurde unmöglich, von einem Lager zum anderen zu gelangen. Sieben Männer taten sich zusammen, um einen Fluchttunnel zu graben. Vier von ihnen wurden gefangen und einen ganzen Tag lang gefoltert, was an sich schlimmer war als der Tod. Am Abend, als alle Mann von der Arbeit zurückgekehrt waren, mussten alle Häftlinge antreten und der Hinrichtung der vier Männer beiwohnen. Einer von ihnen, der Jude Mechel aus Warschau, rief, bevor ihm die Schlinge um den Hals gezogen wurde: "Nieder mit Hitler! Lang leben die Juden!"
Unter uns Arbeitern gab es einige, die sehr fromm waren und die Tagesgebete jeden Tag sprachen. Der Deutsche Karl[12], ein Zyniker und stellvertretender Lagerführer, beobachtete die Gewohnheiten dieser kleinen Gruppe und machte Witze über sie. Er gab ihnen sogar einen Tallit und Tefillin für ihre Andachten und als einer der Männer starb, gab er die Erlaubnis zu einer traditionellen jüdischen Beerdigung, komplett mit einem Grabstein. Ich riet den Männern ab, davon Gebrauch zu machen, weil unsere Peiniger den Leichnam exhumieren und verbrennen würden, nachdem sie ihren Spaß beim Anschauen der Trauerfeier gehabt hätten. Sie weigerten sich, meinen Ratschlag zu beherzigen, aber fanden bald heraus, dass ich recht gehabt hatte.
Ab April 1943 kamen Transporte aus Warschau herein. Wir erfuhren, dass 600 Männer aus Warschau im Lager Nr. 1 arbeiteten. Dieser Bericht stellte sich als wahrheitsgemäß heraus. Zu der Zeit tobte eine Typhusepidemie im Lager Nr. 1. Diejenigen, die erkrankten, wurden getötet. Drei Frauen und ein Mann aus dem Warschauer Transport kamen zu uns. Der Mann war der Ehemann einer der drei Frauen. Die Leute aus Warschau wurden mit außergewöhnlicher Brutalität behandelt, die Frauen noch härter als die Männer. Frauen mit Kindern wurden von den anderen getrennt und zu den Feuern geführt. Nachdem die Mörder ihre Freude daran gehabt hatten, die vom Grauen erfassten Frauen und Kinder zu beobachten, töteten sie sie direkt bei den Scheiterhaufen und warfen sie in die Flammen. Dies geschah recht häufig. Die Frauen fielen vor Angst in Ohnmacht und diese Tiere schleppten sie halb tot ins Feuer. In Panik klammerten sich die Kinder an ihre Mütter. Die Frauen baten um Gnade und schlossen die Augen, um den Anblick der grausigen Szene zu vermeiden, aber ihre Peiniger schielten sie nur an und spannten ihre Opfer endlose Minuten auf die Folter. Während ein Schub von Frauen und Kindern getötet wurde, ließ man die anderen herumstehen, bis sie an der Reihe waren. Immer und immer wieder wurden Kinder aus den Armen ihrer Mütter gerissen und lebendig in die Flammen geworfen, während ihre Peiniger lachten und die Mütter drängten, Mut zu beweisen und ihren Kindern ins Feuer nachzuspringen. Die Deutschen verspotteten die Frauen, sie seien Feiglinge.
Eine Reihe von Männern aus Lager Nr. 1 wurde als Arbeiter in unser Lager geschickt. Sie hatten Angst und wollten nicht mit uns reden, denn Lager Nr. 1 war bekannt für seine sehr strenge Disziplin. Nach einer Weile jedoch beruhigten sich diese Männer und gaben uns zu verstehen, dass ein Aufstand im Lager Nr. 1 geplant sei. Wir wollten einen Kontakt mit den Häftlingen von Lager Nr. 1 herstellen, aber es bot sich keine Gelegenheit, denn es gab überall Wachtürme und Wachen. Das Essen in unserem Lager hatte sich verbessert. Wir konnten einmal pro Woche duschen und erhielten sogar wöchentlich saubere Bettwäsche. Eine Wäscherei war eingerichtet worden, in der weibliche Häftlinge arbeiteten. Wir beschlossen, bis zum Frühjahr entweder einen Ausbruchsversuch zu wagen oder zugrundezugehen.
Ungefähr zu dieser Zeit bekam ich eine Erkältung, die sich zu einer Lungenentzündung entwickelte. Alle Kranken wurden entweder erschossen oder durch Injektionen getötet, aber es schien, als ob sie mich brauchten. Dementsprechend gewährten sie mir jede verfügbare ärztliche Hilfe. Ein jüdischer Arzt besuchte mich. Er untersuchte mich jeden Tag und gab mir Medizin und spendete Trost. Mein deutscher Chef Lefler[13] brachte mir Essen: Weißbrot, Butter und Rahm. Wenn er Nahrungsmittel von Schmugglern beschlagnahmte, teilte er sie mit mir. Das warme Frühlingswetter, der Überlebensdrang und die erhaltene medizinische Hilfe zeigten Wirkung, und trotz der unglaublichen Strapazen, unter denen ich lebte, erholte ich mich. Ich ging wieder an die Arbeit, um den Bau der Wachtürme zu beenden.
Eines Tages kam der Hauptsturmführer, begleitet vom Lagerführer und meinem Chef Lefler, zu mir. Sie fragten mich, ob ich die Aufgabe übernähme, ein Blockhaus zu bauen. Es sollte aus Baumstämmen errichtet werden und als Wachgebäude im Lager Nr. 1 dienen. Als ich ihm zu erklären begann, wie die Arbeit ausgeführt werden sollte, wandte er sich an seine Begleiter und bemerkte, dass ich ihn blitzschnell verstanden hätte.
Es war kein Holz oder Baumaterial zur Hand. Wir mussten das Holz zurechtsägen. Ich schlug ein Schindeldach vor, und wir mussten die Schindeln selbst herstellen. Dadurch konnte ich die Lage für ziemlich viele Häftlinge verbessern. Sie wurden von der Arbeit mit den Leichen entbunden, um mir zu helfen. Ich baute das Blockhaus im Lager Nr. 2 in einer solchen Weise, dass es auseinander genommen und nach Lager Nr. 1 geschafft werden konnte. Jedem gefiel es so sehr, dass der Hauptsturmführer und Lefler bei ihren Kameraden prahlten, dass sie die Arbeit selbst getan hätten.
Nach einer Weile war die Zeit gekommen, um die Konstruktion auseinanderzunehmen und ins Lager Nr. 1 zu bringen. Aber Baumeister Hermann und der Tischlermeister schafften es alleine nicht, die Teile zusammenzubauen. Es war offenbar einfacher für sie, unschuldige Menschen zu töten, als diese Art von Arbeit zu leisten. Erneut wandten sie sich an mich um Unterstützung.
Das passte mir perfekt, weil ich auf diese Weise Zugang zu Lager Nr. 1 erhalten und den Kontakt zu unseren Leidensgenossen herstellen konnte. Ich brauchte Hilfe bei meiner Arbeit, und obwohl vier Männer genug gewesen wären, bat ich um acht.
Als ich Lager Nr. 1 betrat, erkannte ich es überhaupt nicht mehr wieder. Es war makellos sauber und die Disziplin extrem streng. Jeder erschrak tödlich beim bloßen Anblick eines Deutschen oder eines Ukrainers. Nicht nur, dass die Häftlinge von Lager 1 sich weigerten, mit uns zu sprechen. Sie hatten sogar Angst, uns anzusehen.
Trotz des Hungers und der Misshandlungen besaßen sie ein geheimes Komitee, das effizient arbeitete. Alles war sorgfältig geplant. Ein Warschauer Bäcker namens Leiteisen, der als Verbindungsmann der Verschwörer fungierte, arbeitete in der Nähe des Zauns im Lager Nr. 1. Es war schwierig, mit ihm Kontakt aufzunehmen, weil es von deutschen und ukrainischen Wachen ringsherum wimmelte und der Zaun mit Bäumchen getarnt wurde und man daher nie wusste, wer hinter ihm lauerte.
Den Arbeitern im Lager Nr. 1 drohte ständig die Peitsche. Verglichen mit ihnen genossen wir alle Freiheiten. So wurde uns beispielsweise erlaubt, während der Arbeit zu rauchen. Wir erhielten sogar Zigarettenzuteilungen. Wir nutzten unsere relative Freiheit für unsere eigenen Zwecke. Einige von uns verwickelten unsere Wache in ein Gespräch, um deren Aufmerksamkeit abzulenken, während andere die Gelegenheit wahrnahmen, den Kontakt mit den Häftlingen von Lager Nr. 1 herzustellen.
Im Laufe der Zeit wurden wir Mitglieder eines Ausschusses des geheimen Komitees, ein Umstand, der etwas Hoffnung auf Befreiung oder zumindest einen heroischen Tod weckte. Dies alles stellte für die Beteiligten wegen der Wachsamkeit der Wachen und der starken Befestigungen im Lager ein erhebliches Risiko dar. Allerdings war unser Motto "Freiheit oder Tod". In der Zwischenzeit stellte ich das Blockhaus fertig. Zur Feier des Tages lud uns der Hauptsturmführer zu Schnaps und Würsten ein. Während wir an dem Blockhaus arbeiteten, erhielten wir eine zusätzliche tägliche Ration von 1/2 kg Brot.
Kapitel 11
Im Gegensatz zu unserem Lager verschlimmerte sich der Terror im Lager Nr. 1, und Franz und seine Bestie von Menschenfresser spielten sich als Herren über die Arbeiter auf. Während meines ersten Aufenthalts im Lager Nr. 1 hatte ich ein paar Jungs im Alter von 13 und 14 Jahren wahrgenommen, die eine Schar Gänse hüteten und Gelegenheitsarbeiten verrichteten. Alle im Lager mochten sie. Der Hauptsturmführer sorgte sich fast wie ein leiblicher Vater um sie, kümmerte sich um ihre Bedürfnisse und war oft stundenlang mit ihnen zusammen. Er ließ ihnen das beste Essen und die besten Kleider zukommen. Dank der guten Fürsorge, des Essens und der frischen Luft strotzten diese Jungs vor Gesundheit, und ich dachte, dass ihnen nichts geschehen würde. Aber als ich nun ins Lager Nr. 1 zurückkehrte, fiel mir sofort auf, dass sie nicht mehr da waren. Man sagte mir, der Chef habe sie töten lassen, nachdem er ihrer überdrüssig geworden sei.
Nach Abschluss unserer Aufgabe kehrten wir mit großen Hoffnungen, bald frei zu sein, ins Lager Nr. 2 zurück. Allerdings hatten wir nichts Konkretes in der Hand und der Kontakt brach wieder ab.
Das Verbrennen der Leichen war während unserer Abwesenheit im Lager Nr. 2 weitergegangen, aber da es so viele Leichen gab, war noch kein Ende in Sicht. Zwei weitere Bagger zur Exhumierung der Leichen wurden hereingebracht, zusätzliche Feuerroste gebaut und die Arbeit beschleunigt. Die Feuerroste nahmen fast den gesamten Platz ein. Es war mittlerweile Hochsommer, und die Feuerroste strahlten eine wahnsinnige Hitze ab und verwandelten den Ort in ein Inferno. Wir fühlten uns, als ob wir selbst in Brand geraten wären. Gespannt warteten wir auf den Moment, in dem wir in der Lage sein würden, gewaltsam die Lagertore aufzubrechen.
Mehrere neue Transporte kamen an. Ich kann nicht sagen woher. Zwei Transporte mit Polen trafen ebenfalls ein. Aber da ich sie nie lebend gesehen hatte, weiß ich nicht, wie sie behandelt wurden, als sie sich entkleiden und in die Gaskammern gehen mussten. Sie wurden vergast wie all die anderen zuvor. Als wir diese Leichen abfertigten, bemerkten wir, dass die Männer nicht beschnitten waren. Auch hörten wir die Deutschen bemerken, dass diese "verdammten Polen" nicht wieder rebellieren würden.
Die jüngeren Häftlinge unseres Lagers wurden ungeduldig und wollten mit dem Aufstand beginnen. Aber die Zeit war noch nicht reif. Wir hatten die Pläne für den Angriff und die Flucht noch nicht abgeschlossen. Der Kontakt mit Lager Nr. 1 war schwierig, aber bald waren wir wieder in der Lage, mit ihnen zu kommunizieren.
An einem Sonntagnachmittag erzählte mir mein Chef Lefler, dass der Hauptsturmführer ein zusätzliches Tor für das Blockhaus bauen und mich damit beauftragen wollte. Er hieß mich einen Plan ausarbeiten, und ich fügte die notwendigen Informationen für den Hauptsturmführer bei, der meine Vorschläge annahm. Ich reichte meine Angaben für die benötigten Materialien ein und machte mich an die Arbeit. Ich ergriff diese Gelegenheit mit Eifer, da mir bewusst war, dass dies die letzte Chance für eine Kontaktaufnahme mit den Verschwörern war. Ich besuchte Lager Nr. 1 unter allen möglichen Vorwänden und besprach unsere Pläne mit meinen Mitverschwörern, die jedoch keine eindeutigen Angaben machten. Alles, was sie uns sagten, war, nicht aufzugeben, sondern abzuwarten. Unterdessen wurden größere und bessere Feuerroste im Lager eingerichtet, als ob sie für die kommenden Jahrhunderte erforderlich wären. Als die jungen Häftlinge dies sahen, wollten sie sofort losschlagen. Unsere Geduld wurde auf die Probe gestellt.
Im Lager Nr. 2 begannen wir, uns in Fünfergruppen zu organisieren, wobei jede Gruppe eine bestimmte Aufgabe bekam, wie das deutsche und ukrainische Personal zu erledigen, die Gebäude in Brand zu stecken, die Flucht der Häftlinge zu decken etc. Alle notwendigen Utensilien wurden vorbereitet: stumpfe Werkzeuge, um unsere Wächter zu töten, Holz zum Bau von Brücken, Benzin für die Brandstiftungen, etc.
Das Datum für den Beginn der Revolte wurde auf den 15. Juni festgelegt, aber die Stunde Null wurde mehrmals verschoben und neue Termine wurden angesetzt, weil die Zeit noch nicht reif war. Das Organisationskomitee traf sich gewöhnlich, nachdem wir in der Baracke für die Nacht eingesperrt wurden. Nachdem der Rest unserer Mitgefangenen, von der täglichen Schufterei und den Misshandlungen erledigt, eingeschlafen war, versammelten wir uns in einer Ecke der Baracke, in einer der oberen Kojen, und arbeiteten an unseren Plänen weiter. Wir mussten die jüngeren Männer im Zaum halten, weil sie zur Tat schreiten und die Dinge in Angriff nehmen wollten, obwohl wir noch nicht richtig vorbereitet waren.
Wir beschlossen, nichts ohne die Häftlinge aus Lager Nr. 1 zu unternehmen, da alles andere gleichbedeutend mit Selbstmord gewesen wäre. Wir im Lager Nr. 2 zählten nur eine Handvoll, weil nicht alle von uns fit für den Kampf waren. Wie ich schon erwähnt habe, genossen wir eine bessere Verpflegung als die Gefangenen im Lager Nr. 1 und wurden besser behandelt. Aber wir zählten nur etwa 300, sie hingegen 700 Arbeiter.
Die Häftlinge des Lagers Nr. 1 wurden praktisch ausgehungert und mussten Schläge und brutale Strafen ertragen, die teuflische Formen annahmen, wenn sie beim Handel mit den Ukrainern erwischt wurden. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie einer von ihnen, bei dem ein Stück Wurst gefunden worden war, an einen Pfahl gebunden wurde, wo er gezwungen war, regungslos einen mörderisch heißen Tag lang zu stehen. Da er ziemlich kräftig war, überlebte er die Tortur und verriet die Ukrainer nicht, mit denen er Geschäfte gemacht hatte. In diesem Zusammenhang muss ich hinzufügen, dass die Deutschen auch einen Ukrainer schlugen, sobald sie erfuhren, dass er mit den Häftlingen Handel trieb und Lebensmittel für sie schmuggelte. Die Ukrainer wiederum hielten sich an den Juden schadlos. Ein Leben unter solchen Zuständen hielten die Häftlinge nicht lange durch. Für Franz ergab sich dann die Chance, diese armen Teufel an die Feuerroste zu zerren, sie brutal zu foltern und sie, nachdem er sie zu Brei geschlagen hatte, zu töten und ihre Leichen ins Feuer zu werfen. Im Hinblick auf diese Zustände wussten wir, dass die Häftlinge des Lagers Nr. 1 sich erheben würden. Aber weil wir nicht in der Lage waren, etwas ohne sie zu erreichen, schlossen wir unsere eigenen Vorbereitungen ab und warteten auf ein Zeichen von ihnen.
Kapitel 12
In der Zwischenzeit ging das "Leben" seinen "normalen" Gang. Die makabren Einfälle nahmen kein Ende. Das deutsche Lagerpersonal verspürte plötzlich ein Bedürfnis nach Unterhaltung und Zerstreuung, da sie sonst keine anderen Sorgen hatten. Dementsprechend organisierten sie obligatorische Theateraufführungen, Konzerte, Tanzaufführungen, usw. Die "Darsteller" wurden aus den Reihen der Häftlinge rekrutiert, die von der Arbeit für mehrere Stunden befreit wurden, um an den Proben teilzunehmen. Die "Aufführungen" fanden sonntags statt. Sie waren obligatorisch, und das Publikum bestand aus Deutschen und Ukrainern. Die Frauen mussten im Chor singen, während das dreiköpfige Orchester jeden Tag beim Appell nach den Auspeitschungen spielen musste. Die Häftlinge wurden gezwungen, jüdische Lieder zu singen, wenn sie zur Arbeit ausmarschierten. Pläne für eine neue Aufführung waren geschmiedet und dafür neue Kostüme entworfen worden, aber die Show fand nie statt, weil unser Aufstand und die Flucht erfolgreich waren.
Während die Deutschen zwischen Mittag und ein Uhr ihr Mittagessen einnahmen, mussten die Juden auf dem Hof vor der Kantine stehen und für Musik und Gesang sorgen. Die Mitglieder des Chores mussten genauso hart wie der Rest der Häftlinge arbeiten, hatten aber spezielle Zeiten für Gesang und ihre Musik. Im Großen und Ganzen machten sich unsere Peiniger einen ziemlichen Spaß mit dem Rest von uns, die sich als Clowns verkleideten und Funktionen übernahmen, die uns tatsächlich zum Lachen brachten, obwohl wir todunglücklich waren.
Ein jüdischer Wächter, den die Deutschen besonders ausgesucht hatten, wurde vor der Tür unserer Baracke aufgestellt. Er trug rote Hosen wie ein Tscherkesse, eine eng anliegende Jacke und Holzpatronen auf beiden Seiten der Brust. Er hatte eine hohe Fellmütze auf dem Kopf und trug ein Holzgewehr. Er wurde bis zur Erschöpfung zum Clownspielen und zum Tanzen gezwungen. Am Sonntag trug er einen weißen Leinenanzug mit roten Streifen auf den Hosen, einen roten Kragenspiegel und eine rote Schärpe. Die Deutschen machten ihn oft betrunken und trieben ihren Unfug mit ihm. Niemand durfte während der Arbeitszeit die Baracke betreten, und so hielt er vor der Tür Wache. Er hieß Moritz und kam aus Tschenstochau.
Ein weiterer solcher armer Schlucker war der sogenannte "Scheissmeister". Er war wie ein Vorsänger gekleidet und musste sich sogar einen Spitzbart wachsen lassen. Er trug einen großen Wecker an einer Schnur um den Hals. Niemand durfte länger als drei Minuten in der Latrine bleiben, und es war seine Aufgabe, bei allen auf die Zeit zu achten. Der Name dieses Unglücklichen war Julian. Er kam auch aus Tschenstochau, wo er Besitzer einer Metallwarenfabrik gewesen war. Ihn nur anzusehen, reichte aus, um in Gelächter auszubrechen.
Moritz akzeptierte kleinlaut, was immer die Deutschen mit ihm anstellten. Er war sich gar nicht bewusst, was für eine erbärmliche Figur er abgab. Julian war ein selbstsicherer und ruhiger Mann, aber wenn sie ihren Schabernack mit ihm trieben, weinte er bitterlich. Er weinte auch während der Arbeit bei den Feuerrosten. Seine Kluft, seine Erscheinung und die Aufgabe, die er zu erfüllen hatte, provozierten die deutschen Teufel umso mehr, ihn zu misshandeln und sich auf seine Kosten zu amüsieren.
Seit geraumer Zeit hatte ich im Lager Nr. 1 gearbeitet und war jeden Abend wieder ins Lager Nr. 2 zurückgegangen. Dies verschaffte mir die Gelegenheit, mit den Verschwörern im Lager Nr. 1 in Kontakt zu bleiben. Ich stand weniger unter Beobachtung als die anderen und wurde auch besser behandelt. Immer wieder vertrauten die ukrainischen Wachmänner mir einige ihrer Besitztümer zur Verwahrung an, weil sie wussten, dass ich nicht durchsucht wurde. Mein Chef kaufte mir selbst Essen und sorgte dafür, dass ich es mit niemand anderem teilte. Ich verhielt mich gegenüber den Deutschen nie unterwürfig. Ich nahm nie meine Mütze ab, wenn ich mit Franz sprach. Wäre ich ein anderer Häftling gewesen, hätte er mich auf der Stelle getötet. Aber alles, was er tat, war, mir auf Deutsch zuzuflüstern: "Wenn du mit mir redest, denke daran, deine Mütze abzunehmen." Unter diesen Umständen hatte ich fast völlige Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit, alle notwendigen Vorkehrungen zu treffen.
Seit längerem waren keine Transporte in Treblinka eingetroffen. Als ich dann eines Tages in der Nähe des Tors arbeitete, fiel mir ein Stimmungswandel unter der deutschen Besatzung und den ukrainischen Wachmännern auf. Der Stabsscharführer, ein Mann um die 50, klein, gedrungen und mit einem bösartigen Gesichtsausdruck, verließ das Lager mehrere Male mit dem Auto. Dann flog das Tor auf und etwa 1.000 Zigeuner wurden hereingetrieben. Dies war der dritte Transport von Zigeunern, der in Treblinka ankam. Ihnen folgten mehrere Fuhrwerke mit all ihren Habseligkeiten: schmutzige Lumpen, zerrissene Bettwäsche und anderer Müll. Sie kamen fast ohne Bewachung an, mit Ausnahme von zwei Ukrainern, die deutsche Uniformen trugen und sich nicht im Klaren darüber waren, was das alles zu bedeuten hatte. Sie waren Prinzipienreiter und forderten sogar eine Quittung, aber sie wurden nicht einmal ins Lager gelassen und ihr Beharren auf einem Beleg wurde mit sarkastischem Lächeln quittiert. Sie erfuhren von unseren Ukrainern unter der Hand, dass sie gerade eine Ladung neuer Opfer in ein Todeslager abgeliefert hatten. Sie wurden sichtlich blass und klopften wieder ans Tor und forderten, eingelassen zu werden, woraufhin der Stabsscharführer herauskam und ihnen einen verschlossenen Briefumschlag überreichte, den sie nahmen. Dann gingen sie weg. Die Zigeuner, die aus Bessarabien gekommen waren, wurden ebenso wie alle anderen vergast und dann verbrannt.
Der Juli ging zu Ende und es war brütend heiß. Die härteste Arbeit war an den Massengräbern, und die Männer, die die Leichen zur Einäscherung exhumierten, waren wegen des widerlichen Gestanks kaum in der Lage, sich auf den Beinen zu halten. Mittlerweile waren etwa 75 Prozent der Leichen eingeäschert worden. Nun galt es nur noch, den Boden einzuebnen, so dass alle Spuren der Verbrechen, die an diesem Ort begangen worden waren, verwischt würden. Asche kann nicht sprechen.
Es war unsere Aufgabe, die Asche der verbrannten Opfer mit Erde zu vermischen und in die leeren Gruben zu schütten, um alle Spuren der Massengräber zu beseitigen. Die so gewonnene Parzelle Boden musste auf die eine oder andere Weise genutzt werden. Sie wurde mit Stacheldraht umzäunt. Zusammen mit einem zusätzlichen Stück Land aus dem anderen Lager sollte sie einen Bereich zum Anpflanzen bilden. Ein Experiment zum Anbau von etwas Vegetation auf diesem Areal wurde durchgeführt. Der Boden erwies sich als fruchtbar. Die Gärtner unter uns pflanzten Lupine, die sehr gut gedieh. Und so wurde die Fläche der Massengräber, nachdem 75 Prozent der begrabenen Leichen exhumiert und verbrannt worden waren, eingeebnet, eingesät und mit Stacheldraht eingezäunt. Dort wurden auch Kiefernbäume angepflanzt.
Die Deutschen waren voller Stolz auf das Erreichte, und fanden, dass sie als Belohnung für ihre Mühen ein wenig Unterhaltung verdient hätten. Sie begannen mit einer Feier zum "Ruhestand" des Baggers, der unsere toten Brüder exhumiert hatte. Der Bagger zeigte mit seiner Schaufel hoch in den Himmel. Die Deutschen feuerten Salut, dann folgte ein ordentliches Festessen mit viel Alkohol und Unterhaltung.
Auch wir profitierten von dieser Feier: Wir erhielten ein paar Tage Pause von der Arbeit. Wir wussten nur zu gut, dass dies unsere letzten Tage hier auf Erden sein würden, da nur noch 25 Prozent der Gräber geleert werden mussten. Sobald dies abgeschlossen war, würden die wenigen von uns, die die einzigen Zeugen der schrecklichen, hier begangenen Verbrechen waren, auch getötet werden. Allerdings behielten wir die Nerven und warteten geduldig auf die Befreiung.
Zu dieser Zeit arbeitete ich noch immer im Lager Nr. 1. Ein Teil des Bereichs von Lager Nr. 2 war mit Lager Nr. 1 verbunden worden, und einer der Türme musste ins Lager Nr. 2 verlegt werden. Ich arbeitete mit meinen Männern daran und war deshalb in der Lage, in Kontakt mit unseren Kameraden im Lager Nr. 1 zu bleiben.
Innerhalb weniger Tage wurde damit begonnen, die restlichen 25 Prozent der Gräber zu leeren. Die Leichen wurden verbrannt. Wie ich bereits erwähnte, war es extrem heiß, und als die Gräber geöffnet wurden, kam ein ekelerregender Gestank heraus. Einmal warfen die Deutschen irgendeinen brennenden Gegenstand in eines der geöffneten Gräber, nur um zu sehen, was passieren würde. Sofort stiegen schwarze Rauchwolken empor und das ausgebrochene Feuer glomm den ganzen Tag lang. Einige der Gräber enthielten Leichen, die direkt nach der Vergasung hineingeworfen worden waren. Die Leichen hatten keine Gelegenheit zum Abkühlen gehabt. Sie waren so dicht zusammengelegt worden, dass die Gräber wie ein Kessel Dampf abließen.
Als einmal ein Stoß Leichen auf den Feuerrost gelegt wurde, ragte ein erhobener Arm heraus. Vier Finger waren zu einer Faust geballt, bis auf den erstarrten Zeigefinger, der starr gen Himmel wies, als ob er Gottes Urteil auf die Henker herabrufen wolle. Es war nur ein Zufall, aber es genügte, um all jene, die es sahen, die Nerven verlieren zu lassen. Auch unsere Henker erbleichten und konnten ihre Augen nicht von diesem schrecklichen Anblick abwenden. Es war, als ob irgendeine höhere Macht am Werk gewesen sei. Der Arm zeigte lange, lange Zeit gen Himmel. Lange, nachdem ein Teil des Scheiterhaufens sich in Asche verwandelt hatte, war der erhobene Arm noch immer da und forderte vom Himmel ausgleichende Gerechtigkeit ein. Dieser kleine und scheinbar unbedeutende Vorfall verdarb den Henkern zumindest für eine Weile ihre euphorisch gute Laune.
Ich arbeitete weiterhin im Lager Nr. 1 und kehrte jeden Abend ins Lager Nr. 2 zurück. Ich konstruierte eine Voliere aus Birkenholz und einen niedrigen Zaun um den Blumengarten, wo zahme Tiere und auch Vögel gehalten wurden. Es war ein ruhiger, hübscher Ort. Holzbänke waren dort für die Bequemlichkeit der Deutschen und Ukrainer aufgestellt worden. Aber ach, dieser ruhige Ort war der Sitz des berüchtigten Komplotts, dessen einziges Wirken zweifellos darin bestand, uns hoffnungslose arme Geschöpfe zu quälen.
Kapitel 13
Der Lagerälteste des Lagers Nr. 1 beobachtete mich häufig aus der Ferne bei der Arbeit. Es war verboten, mit einem von uns zu sprechen, aber er wechselte häufig in aller Heimlichkeit ein paar Worte mit mir. Er war ein Jude um die 45, groß und mit angenehmem Wesen. Er hieß Galewski, war von Beruf Ingenieur und kam aus Lodz. Man hatte ihn im August 1942 zum Lagerältesten bestimmt, als jüdische Lager-"Autoritäten" erstmals ernannt worden waren. Er war die Hauptstütze der Organisationsarbeit. Weil er sich nicht wie andere verkaufte, sondern sich immer als einer von uns Unglücklichen sah, wurde er oft wie der Rest von uns geschlagen und gehetzt.
Als er auf ein kurzes Gespräch zu mir kam, war er gerade von einem dreitägigen Arrest aus einer Gefängniszelle entlassen worden. Dort war er nur einmal täglich - am Morgen - herausgelassen worden, um den Fäkalieneimer zu leeren. Als nun niemand in meiner Nähe war, ergriff er die Gelegenheit und erklärte kategorisch, dass die Jüngeren geduldig sein sollten, weil die Stunde der Befreiung nahte. Er wiederholte dies mehrmals. Ich hatte das Gefühl, dass die Stunde Null näher rückte und das Ende wirklich in Sicht war.
Nach meiner Rückkehr von der Arbeit berief ich an diesem Abend ein Treffen ein, um den Stand unserer Einsatzbereitschaft zu prüfen. Alle waren aufgeregt und konnten in dieser Nacht überhaupt nicht schlafen. Wir sahen uns schon außerhalb des Infernos.
Die Hitze wurde immer unerträglicher. Es war fast unmöglich, sich auf den Beinen zu halten. Der schreckliche Gestank und die Hitze, die von den Feuerrosten abstrahlte, waren zum Verrücktwerden. Die Deutschen beschlossen daher, uns von 4 Uhr morgens bis zum Mittag arbeiten zu lassen, um uns anschließend in den Bereich der Baracke zurückzutreiben. Wieder waren wir der Verzweiflung nahe. Wir hatten Angst, dass wir nun niemals herauskämen. Allerdings fanden wir einen Ausweg. Wir konnten die Deutschen davon überzeugen, dass es besser wäre, die Leichen so schnell wie möglich zu verbrennen, und sagten, es gebe Freiwillige unter uns, die für zusätzliche Brotrationen gerne arbeiten und Überstunden machen würden. Die Deutschen waren einverstanden.
Wir teilten zwei Schichten ein, eine von Mittag bis drei Uhr nachmittags und die andere von drei Uhr bis sechs Uhr abends. Wir wählten geeignete Männer aus und warteten von Tag zu Tag auf das Signal. Hinter unserer Baracke lag ein Brunnen, der Küche und Wäscherei mit Wasser versorgte. Wir nutzten auch dieses "Einfallstor", obwohl es die ganze Zeit bewacht wurde. Wir liefen häufig zu dem Brunnen, auch wenn wir kein Wasser brauchten, damit die Wachen sich daran gewöhnten, uns kommen und gehen zu sehen.
Zu dieser Zeit kamen überhaupt keine Transporte mehr, und so betrafen die einzigen Hinrichtungen nur einzelne Juden; denn unsere Henker konnten einfach nicht untätig bleiben. Aber nach kurzer Zeit waren die Deutschen wieder alle in bester Laune, weil neue Opfer eintrafen: ein Transport aus Warschau, der angeblich ins Ausland hätte geschickt werden sollen. In diesem Transport waren alles bessere Leute, die wohlhabend aussahen. Sie zählten etwa 1.000 Männer, Frauen und Kinder. Wir begriffen, dass es sich um einen Transport von Menschen handelte, die viel Geld dafür bezahlt hatten, um an einen sicheren Ort gebracht zu werden. Später erfuhr ich, dass sie im Hotel Polski, einer erstklassigen Adresse in der Dluga-Straße in Warschau, untergebracht worden waren. Aber dann brachte man sie nach Treblinka. Wir erfuhren, wer sie waren, als wir ihre Besitztümer sortierten und darunter ihre persönlichen Papiere fanden. Diese Menschen wurden wie alle anderen auch getötet.
Das gleiche Schicksal widerfuhr Transporten aus anderen Ländern. Diesen Menschen hatte man gesagt, dass sie an einen Ort namens Treblinka "umgesiedelt" werden würden. Wann immer diese armen Teufel eine Bahnstation erreichten, steckten sie ihre Köpfe aus den Abteilfenstern und fragten beiläufig, wie weit es noch nach Treblinka sei. Erschöpft wie sie waren, sehnten sie sich nach einer Oase, um sich von ihrer beschwerlichen Reise ausruhen zu können. Als sie endlich Treblinka erreichten, erlaubte man ihnen, sich zur - ewigen - Ruhe zu begeben, noch bevor sie auch nur die Zeit hatten, Überraschung oder Angst zu verspüren. Während ich dies schreibe, wächst Lupine über der Stelle, wo ihre Asche begraben wurde.
Als Nächstes kam ein Transport aus dem Straflager Treblinka. Er bestand aus etwa 500 Juden, die alle kaum noch am Leben waren, abgearbeitet bis auf die Knochen und brutal gefoltert. Sie sahen so aus, als ob sie darum bettelten, zu sterben. Sie wurden wie alle anderen getötet.
Allerdings kamen wir dem Ende unseres Leidens immer näher. Der Tag unserer Befreiung nahte. Gerade dann wurde mein Chef Lefler, der mich so gut behandelt hatte, nach Majdanek versetzt. Er bestand darauf, mich mitzunehmen und dort arbeiten zu lassen. Ich befand mich in einem schrecklichen Dilemma. Ich wusste, dass einen jeden von uns ein grausamer Tod erwartete. In Majdanek würde ich nicht in der Lage sein, aufgrund der neuen Umgebung einen schnellen Weg in die Freiheit zu finden, und es würde mich viel Zeit kosten, mich mit neuen Leuten und neuen Zuständen vertraut zu machen. Allerdings lag die Entscheidung nicht bei mir: ich musste sogar behaupten, dass ich mich von Leflers Angebot total geehrt fühlte. Zu meinem Glück weigerte sich der Hauptsturmführer, mich gehen zu lassen. Er brauchte mich noch. Ich für meinen Teil war darüber sehr froh.
Etwa zu dieser Zeit wurde uns aus irgendeinem unbekannten Grund befohlen, Briefe zu schreiben. Einige unter uns waren naiv genug, es zu tun. Später sah ich mit eigenen Augen, wie die Briefe verbrannt wurden. Ich weiß nicht, ob es nur ein Spiel, ein Scherz, oder was auch immer gewesen war.
Kapitel 14
Das Datum für den Beginn des Aufstandes wurde endgültig und unwiderruflich auf den 2. August festgelegt. Wir fühlten instinktiv, dass dies wirklich der Tag sein würde. Wir beschäftigten uns sehr mit den Vorbereitungen, und überprüften, ob alles bereitstand und ob jeder unserer Männer wusste, welche Aufgabe er zu erledigen hatte.
So geschah es, dass ich mehrere Tage nicht ins Lager Nr. 1 hinüberging, weil ich mit der Konstruktion eines achteckigen Gebäudes mit einem Hängedach beschäftigt war. Dieses sollte einem Wachlokal ähneln und einen Brunnen beherbergen. Im Lager Nr. 2 konstruierte ich auch ein tragbares Gebäude, das zerlegbar war, und das ich später ins Lager Nr. 1 schaffen sollte, wo es angeblich dauerhaft bleiben würde. Ich wurde unruhig, weil ich nicht in der Lage war, mit Lager Nr. 1 in Kontakt zu treten. Und Stunde Null rückte immer näher.
Der 2. August 1943 war ein glühend heißer Tag. Die Sonne schien hell durch die kleinen, vergitterten Fenster unserer Baracke. Wir hatten in dieser Nacht praktisch keinen Schlaf gefunden. Schon im Morgengrauen waren wir hellwach und angespannt. Jeder von uns erkannte die Bedeutung des Augenblicks und dachte nur an den Gewinn der Freiheit. Wir hatten unser kümmerliches Dasein satt, und alles, was jetzt zählte, war, Rache an unseren Peinigern zu nehmen und zu fliehen. Was mich betraf, so erhoffte ich mir vor allem, in ein ruhiges Waldstück zu kriechen und etwas ruhigen, erholsamen Schlaf zu finden.
Gleichzeitig waren wir uns der zu bewältigenden Schwierigkeiten bewusst. Die mit bewaffneten Posten besetzten Wachtürme standen rings um das Lager. Im Lager selbst wimmelte es von Deutschen und Ukrainern, die mit Gewehren, Maschinengewehren und Revolvern bewaffnet waren. Sie würden uns bereits um 12 Uhr in unsere Baracke einsperren. Das Lager war von mehreren Reihen Zäunen und Gräben umgeben.
Allerdings hatten wir entschieden, es zu riskieren, komme was da wolle. Wir hatten genug von der Folter und den grässlichen Szenen. Ich für meinen Teil war entschlossen, am Leben zu bleiben, um der Welt eine Beschreibung des Infernos zu liefern und zu zeigen, wie diese verfluchte Hölle ausgesehen hat. Diese Entschlossenheit hatte mir die Kraft gegeben, gegen die Henker zu kämpfen und die Ausdauer, um das Elend zu ertragen. Irgendwie spürte ich, dass ich unseren Ausbruch in die Freiheit überleben würde.
Eine Ahnung des kommenden Sturms lag in der Luft und unsere Nerven waren extrem angespannt. Die Deutschen und die Ukrainer bemerkten nichts Ungewöhnliches. Nachdem sie Millionen von Menschen ausgelöscht hatten, hatten sie nicht das Gefühl, sie müssten sich vor einer armseligen Handvoll Männer wie uns fürchten. Sie brüllten Befehle, denen wie gewohnt gehorcht wurde. Aber diejenigen unter uns, die dem Komitee angehörten, waren in Sorge, weil wir keine Informationen über den Zeitpunkt des Ausbruchs hatten. Ich war nervös. Ich arbeitete weiter, aber machte mir die ganze Zeit Sorgen, dass wir möglicherweise keinen Kontakt herstellen könnten, was wiederum bedeutete, dass wir elendig und sinnlos zugrundegehen würden.
Allerdings fand ich einen Weg, mit Lager Nr. 1 zu kommunizieren. Mein Chef Lefler war nicht mehr da. Er war durch einen neuen Mann, dessen Namen ich nicht kenne, ersetzt worden. Wir nannten ihn "Braunhemd". Er war sehr freundlich zu mir. Ich ging auf ihn zu und bat um einige Bretter. Die Bretter wurden im Lager Nr. 1 gelagert und weil er nicht wollte, dass unsere Arbeit unterbrochen wurde, ging er mit einigen Arbeitern, sie zu holen. Die Bretter wurden gebracht. Ich prüfte und maß sie aus und sagte darauf, dass sie nicht für die Arbeit passten. Ich bot freiwillig an, hinüberzugehen, um das Material, das ich bräuchte, auszuwählen, aber ich verzog dabei das Gesicht, als ob ich keine Lust dazu hätte. Und so ging ich mit meinem Vorgesetzten in den Lagerschuppen. Die ganze Zeit zitterte ich vor Aufregung. Ich fürchtete, dass alles verloren wäre, wenn ich nicht das Beste aus dieser Situation machte.
Bald darauf befand ich mich im Lager Nr. 1, schaute mich nervös um und wägte unsere Chancen ab. Drei weitere Männer waren bei mir. Der Lagerschuppen wurde von einem Juden im Alter von etwa 50 Jahren bewacht, einem Brillenträger. Weil er Häftling des Lagers Nr. 1 war, wusste ich nichts über ihn, aber er war ein Mitglied der Verschwörung. Meine drei Helfer verwickelten den deutschen Vorgesetzten in ein Gespräch, um seine Aufmerksamkeit abzulenken, während ich vorgab, Bretter auszusuchen. Ich ging absichtlich von den anderen weg, um weiter Bretter auszuwählen. Plötzlich flüsterte mir jemand ins Ohr: "Heute um halb sechs Uhr". Ich drehte mich ruhig um und sah den jüdischen Wächter des Lagerschuppens vor mir. Er wiederholte diese Worte und fügte hinzu: "Es wird ein Signal geben."
In fieberhafter Eile sammelte ich die nächstbesten Bretter zusammen und ließ sie meine Kameraden tragen. Ich begann zu arbeiten und zitterte vor Angst, dass mich meine Gefühle verraten würden. So verging die Zeit bis zum Mittag, als alle Mann von der Arbeit zurückkehrten. Wieder tagte unser Komitee heimlich und die Kunde wurde verbreitet. Ich bat alle, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich an ihre individuellen Aufgaben zu erinnern. Die Jüngeren unter uns waren sehr aufgeregt. Als ich unsere Gruppe betrachtete, fing ich an zu glauben, dass wir wirklich siegen würden.
Anschließend wurden Freiwillige für die Nachmittagsschicht ausgewählt. Wir teilten die schwächeren und weniger fähigen Männer zur ersten Schicht ein, weil diese keine Aufgabe zu erfüllen hatte. Die erste Nachmittagsschicht kehrte um drei Uhr von der Arbeit zurück. Die Männer, die wir für danach ausgewählt hatten, gingen zur Arbeit, 30 an der Zahl. Sie waren die Mutigsten, Tapfersten und Stärksten aus der Gruppe. Ihre Aufgabe bestand darin, den anderen den Weg zur Flucht zu ebnen. Eine Gruppe wurde auch aufgestellt, um Wasser vom Brunnen zu holen. Gegen fünf Uhr gab es immer plötzlich einen großen Bedarf an Wasser. Das Tor, das zum Brunnen führte, wurde weit geöffnet und die Anzahl der Wasserträger beträchtlich erhöht.
All jene, die der Abfertigung der Leichen zugeteilt wurden, trugen ausschließlich gestreifte Kittel. Eine Strafe von 25 Peitschenhieben stand auf das Tragen einer anderen Kleidung während dieser Arbeit. An diesem Tag trugen die Männer jedoch normale Kleidung unter ihrem Kittel. Vor der Flucht mussten sie die Kittel loswerden, die sie sofort verraten würden.
Wir blieben in unserer Baracke, saßen eng zusammen und wechselten Blicke. Alle paar Minuten bemerkte jemand, dass die Zeit nahte. Unsere Gefühle in diesem Moment spotten jeder Beschreibung. Wir nahmen schweigend Abschied von dem Ort, an dem die Asche unserer Brüder begraben war. Kummer und Leid hatten uns mit Treblinka verbunden, aber wir waren noch am Leben und wollten von diesem Ort, an dem so viele unschuldige Opfer umgekommen waren, entkommen. Die langen Prozessionen, diese grauenhaften Karawanen des Todes, standen uns noch vor Augen. Sie schrien nach Rache. Wir wussten, was unter der Erdoberfläche versteckt lag. Wir waren übrig geblieben, um Zeugnis abzulegen. Schweigend nahmen wir Abschied von der Asche unserer jüdischen Kameraden und schworen, dass sich aus ihrem Blut ein Rächer erheben würde.
Plötzlich hörten wir das Signal - ein in die Luft abgegebener Schuss.
Wir sprangen auf. Jeder übernahm die verabredete Aufgabe und führte sie sorgfältig aus. Zu den schwierigsten Aufgaben gehörte es, die Ukrainer von den Wachtürmen zu locken. Sobald sie begannen, von oben auf uns zu schießen, gab es keine Chance mehr, lebend zu entkommen. Wir wussten, dass Gold eine ungeheure Anziehungskraft auf sie ausübte und sie die ganze Zeit Handel mit den Juden betrieben hatten. Sobald der Schuss fiel, schlich sich einer der Juden zum Turm und zeigte dem ukrainischen Wachmann eine Goldmünze. Der Ukrainer vergaß völlig, dass er auf Wache war. Er legte die Maschinenpistole weg und kletterte hastig herunter, um das Goldstück von dem Juden zu ergattern. Sie packten ihn, erledigten ihn und nahmen seinen Revolver. Auch die Wachen auf den anderen Türmen wurden schnell ausgeschaltet.
Jeder Deutsche und jeder Ukrainer, dem wir auf unserem Weg heraus begegneten, wurde getötet. Der Angriff erfolgte so plötzlich, dass, bevor die Deutschen einen klaren Gedanken fassen konnten, der Weg in die Freiheit schon offen vor uns lag. Waffen wurden aus dem Wachlokal geschnappt und jeder von uns packte so viele er tragen konnte. Sobald der Signalschuss ertönt war, hatte man auch die Wache am Brunnen getötet und ihre Waffen an sich genommen. Wir rannten alle aus unserer Baracke und nahmen die Positionen ein, die uns zugeteilt worden waren. Innerhalb von wenigen Minuten wüteten überall Feuer. Wir hatten unsere Aufgabe gut gemacht.
Ich schnappte mir ein paar Waffen und schoss nach rechts und links. Als ich aber sah, dass der Fluchtweg weit offen stand, nahm ich eine Axt und eine Säge und rannte los. Am Anfang waren wir Herr der Lage. Doch innerhalb kurzer Zeit nahmen sie die Verfolgung auf, und zwar aus allen Richtungen, von Malkinia, Kosow und vom Straflager Treblinka. Anscheinend hatten sie sofort Verstärkung geschickt, sobald sie das Feuer gesehen und das Schießen gehört hatten.
Unser Ziel war es, den Wald zu erreichen, aber der nächste war acht Kilometer entfernt. Wir liefen durch Sümpfe, über Wiesen und Gräben, und schnell pfiffen wütende Kugeln hinter uns her. Jede Sekunde war wertvoll. Alles, was zählte, war, den Wald zu erreichen, weil die Deutschen uns dort nicht verfolgen würden.
Gerade als ich dachte, dass ich sicher wäre, und geradeaus lief, so schnell wie ich konnte, hörte ich plötzlich das Kommando "Halt!" direkt hinter mir. Ich war schon erschöpft, aber ich lief einfach schneller. Der Wald lag direkt vor mir, nur ein paar Sprünge entfernt. Ich bot alle meine Willenskraft auf, um weiterzulaufen. Der Verfolger holte auf, und ich konnte hören, wie er dicht hinter mir her lief.
Dann hörte ich einen Schuss. Im selben Augenblick spürte ich einen stechenden Schmerz in meiner linken Schulter. Ich drehte mich um und sah einen Wachmann aus dem Straflager Treblinka. Er zielte wieder mit seiner Pistole auf mich. Ich verstand etwas von Schusswaffen und bemerkte, dass die Waffe eine Ladehemmung hatte. Ich nutzte dies aus und wurde absichtlich langsamer. Ich zog die Axt aus meinem Gürtel. Mein Verfolger - ein ukrainischer Wachmann - holte mich ein und schrie auf Ukrainisch: "Halt oder ich schieße!" Ich kam ganz nah an ihn heran und schlug ihm mit meiner Axt auf die linke Brustseite. Er brach vor meinen Füßen mit dem Ausruf "Jesus und Maria" zusammen.
Ich war frei und rannte in den Wald. Nachdem ich ein wenig tiefer in das Dickicht vorgedrungen war, setzte ich mich neben den Büschen nieder. Aus der Ferne hörte ich eine Menge Gewehrfeuer. Es ist fast nicht zu glauben, die Kugel hatte mich kaum verletzt! Sie hatte all meine Kleidung durchschlagen und war an meiner Schulter abgeprallt, wo sie eine Narbe hinterließ. Ich war allein. Endlich konnte ich mich ausruhen.
Jankiel Wiernik