3012-PS (1)

Verordnung für die Ostgebiete

Verordnung

über Arbeitspflicht und Arbeitseinsatz im Operationsgebiet der neu besetzten Ostgebiete

Zur Sicherstellung der militärischen und wirtschaftlichen Erfordernisse im Operationsgebiet wird im Einvernehmen mit Wirtschaftsstab Ost verordnet:

Abschnitt I

Arbeitspflicht

§1

Alle Bewohner des Operationsgebietes zwischen dem vollendeten 14. und 65. Lebensjahr unterliegen der öffentlichen Arbeitspflicht nach Maßgabe ihrer Arbeitsfähigkeit; sie haben sich nach Aufruf bei der örtlich zuständigen Arbeitsbehörde oder der sonst hierfür bestimmten Dienststelle zur Registrierung anzumelden.

Die Arbeitspflicht kann sich auch auf Arbeitsleistung außerhalb des gewöhnlichen Wohnortes oder außerhalb des Operationsgebietes erstrecken.

Der Arbeitspflichtige erhält bei Heranziehung zur Arbeitsleistung einen Verpflichtungsbescheid.

Für Juden ergeht Sonderregelung.

§2

Die Arbeitspflicht nach Maßgabe des § 1 umfaßt auch die Verpflichtung, sich nach Aufforderung der zuständigen Arbeitsbehörde einer bestimmten Berufsausbildung, Anlernung oder Umschulung zu unterziehen.

Abschnitt II

Beschränkung des Arbeitsplatzwechsels

§3

Arbeitnehmer (Arbeiter, Angestellte und Lehrlinge) dürfen ihren Arbeitsplatz nur mit vorheriger Zustimmung der örtlich zuständigen Arbeitsbehörde aufgeben; desgleichen bedürfen auch Arbeitgeber zur Entlassung von Arbeitnehmern der vorherigen Zustimmung der Arbeitsbehörde. Eine Aufgabe des Arbeitsplatzes oder eine Entlassung ohne die erforderliche Zustimmung ist rechtsunwirksam.

Einer Zustimmung der Arbeitsbehörde nach Absatz 1 bedarf es nicht, wenn

a) der Betrieb (Baustelle) stillgelegt wird oder

b) die Einstellung des Arbeitnehmers von vornherein auf weniger als 1 Monat befristet war.

§4

Betriebe (private und öffentliche Betriebe und Verwaltungen aller Art) und Haushaltungen dürfen Arbeitnehmer nur einstellen, wenn die vorherige Zustimmung der örtlich zuständigen Arbeitsbehörde vorliegt. Die Zuweisung von Arbeitskräften durch die Arbeitsbehörde schließt die Erteilung der Zustimmung in sich.

Eine Zustimmung ist nicht erforderlich zur Einstellung in Betriebe der Land- und Forstwirtschaft, der Binnenschifferei sowie in Betriebe des Bergbaus und der Mineralölgewinnung.

§5

Die Vorschriften der §§ 3 und 4 finden allgemein keine Anwendung in der Gefechtszone sowie auf Entlassungen und Einstellungen durch Einheiten der Truppe.

§6

Arbeitnehmer, die aus einem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden sind, haben sich unverzüglich bei der örtlich zuständigen Arbeitsbehörde oder der sonst hierfür bestimmten Dienststelle zu melden.

Abschnitt III

Arbeitsplatzaustausch

§7

Arbeiter und Angestellte, insbesondere gelernte Facharbeiter, die nicht ihrer beruflichen Vorbildung entsprechend (berufsfremd) beschäftigt sind, müssen auf Anforderung der örtlich zuständigen Arbeitsbehörde, soweit notwendig gegen Ersatzgestellung, entlassen und dem Arbeitseinsatz in dem erlernten Beruf zur Verfügung gestellt werden. Unabhängig davon ist der Arbeitgeber verpflichtet, berufsfremd beschäftigte Arbeitnehmer ohne besondere Aufforderung der örtlich zuständigen Arbeitsbehörde namhaft zu machen.

Sinngemäß ist hinsichtlich in Arbeit stehender lediger oder diesen gleichgestellter Personen zu verfahren, die für auswärtige Arbeitsleistung (Arbeit außerhalb des gewöhnlichen Wohnortes oder außerhalb des Operationsgebietes) benötigt werden; sie sind erforderlichenfalls durch ortsgebundene oder sonst beschränkt einsatzfähige Arbeitskräfte zu ersetzen.

§8

Berechtigungsscheine zur Ausübung eines stehenden Handwerks oder Gewerbes, Wandergewerbescheine, Stadthausierscheine oder ähnliche Berechtigungen dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der örtlich zuständigen Arbeitsbehörde erteilt werden.

Bereits erteilte Berechtigungen können auf Antrag der Arbeitsbehörde entzogen werden.

Abschnitt IV

Gestaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen

§9

Die Arbeitspflichtigen werden zu angemessenen Bedingungen unter weitgehendster Zugrundelegung des Leistungsprinzips entlohnt. Nur diejenigen Arbeiten, die eine Entlohnung im Akkord- oder Prämiensystem nicht zulassen, dürfen im Zeitlohn abgegolten werden.

Soweit die Beschäftigung außerhalb des Operationsgebietes erfolgt, gelten die für den Beschäftigungsort maßgeblichen Bestimmungen.

§ 10

Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 54 Stunden; über diese Arbeitszeit hinaus ist jeder Arbeitspflichtige zur Leistung von Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit in angemessenen Grenzen verpflichtet.

§ 11

Soweit es die Verhältnisse des Betriebes zulassen, sind für Arbeitnehmer Werksküchen sowie Verkaufsstellen für Lebens- und Genußmittel und Gegenstände des täglichen Bedarfs einzurichten. Die Verkaufsstellen sind nach Möglichkeit auch den Angehörigen der im Betrieb tätigen Personen zur Verfügung zu stellen.

Abschnitt V

Kranken- und sonstige Fürsorge

§ 12

Arbeitnehmer, die ihrer Arbeitspflicht innerhalb des Operationsgebietes bei zivilen oder militärischen Dienststellen oder bei Betrieben der Wirtschaft einschließlich Land- oder Forstwirtschaft genügen, erhalten für den Fall der Krankheit oder für die Folgen eines Arbeitsunfalles Krankenversorgung (Krankenpflege und Krankengeld; Krankenhauspflege) nach Maßgabe besonderer Bestimmungen.

Bei Beschäftigung außerhalb des Operationsgebietes gelten die für den Beschäftigungsort maßgeblichen Bestimmungen.

§ 13

Wer der Arbeitspflicht außerhalb des gewöhnlichen Wohnortes oder außerhalb des Operationsgebietes genügt und deshalb von seiner Familie getrennt lebt, erhält auf Antrag zur Sicherung des angemessenen Lebensunterhalts seiner Angehörigen Unterstützung nach Maßgabe der besonderen Bestimmungen des Wirtschaftsstabes Ost.

§ 14

Arbeitnehmer, die ihrer Arbeitspflicht durch Arbeitsleistung außerhalb des gewöhnlichen Wohnortes oder außerhalb des Operationsgebietes genügen, werden, soweit sie nach Persönlichkeit, Können und Leistung zur selbständigen Bodenbewirtschaftung befähigt sind, bei Durchführung der neuen Agrarordnung nach den bestehenden Vorschriften in Bezug auf Zuteilung von Land, Zug und Nutzvieh und von Inventar in vollem Umfang berücksichtigt.

Abschnitt VI

Durchführungs- und Strafbestimmungen; Inkrafttreten

§ 15

Der Generalquartiermeister erläßt im Einvernehmen mit Wirtschaftsstab Ost die zur Durchführung und Ergänzung vorstehender Verordnung erforderlichen Bestimmungen.

§ 16

Zuwiderhandlungen gegen vorstehende Verordnung und die zu ihrer Durchführung und Ergänzung erlassenen Bestimmungen, insbesondere die Verweigerung und die Zurückhaltung der Arbeitsleistung sowie das pflichtwidrige Fernbleiben von der Arbeit, unterliegen strenger Bestrafung nach näherer Maßgabe der Durchführungsbestimmungen.

§ 17

Vorstehende Verordnung tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft.

Hauptquartier OKH., den 6. Februar 1943
Der Chef des Generalstabes des Heeres
Zeitzler
General der Inf.

Siehe auch:

Quellen:

  1. Der Nürnberger Prozess, Urkunden und anderes Beweismaterial
    Delphin-Verlag, München 1989
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