18.09.1938

Botschaft der englischen und französischen Regierung an Staatspräsident Benesch

1. Die Vertreter der französischen und britischen Regierung haben heute gemeinsam die allgemeine Lage geprüft und den Bericht des britischen Premierministers über seine Besprechungen mit Herrn Hitler erörtert. Die britischen Minister haben ihren französischen Kollegen ebenfalls die Schlußfolgerungen vorgelegt, die sich aus dem Bericht ergeben, der ihnen über die Arbeit der Mission Runciman von Lord Runciman selbst erstattet worden ist. Wir sind beide davon überzeugt, daß nach den jüngsten Ereignissen jetzt ein Punkt erreicht ist, wo das weitere Verbleiben der hauptsächlich von Sudetendeutschen bewohnten Bezirke innerhalb der Grenzen des Tschechoslowakischen Staates tatsächlich nicht mehr ohne eine Gefährdung der Interessen der Tschechoslowakei selber und des europäischen Friedens möglich ist. Im Lichte dieser Erwägungen sind beide Regierungen zu der Schlußfolgerung veranlaßt worden, daß die Aufrechterhaltung des Friedens und die Sicherheit der Lebensinteressen der Tschechoslowakei nur dann wirksam gesichert werden können, wenn diese Gebiete jetzt an das Reich abgetreten werden.

2. Dies könnte entweder durch eine direkte Gebietsabtretung oder als Ergebnis einer Volksabstimmung geschehen. Wir sind uns der Schwierigkeiten bewußt, die eine Volksabstimmung nach sich ziehen würde, und wir sind uns ebenso klar über die von Ihnen gegen diese Entwicklung bereits erhobenen Einwendungen, insbesondere über die Möglichkeit weitreichender Rückwirkungen in dem Fall, daß die Angelegenheit auf Grund eines so weit umfassenden Prinzips behandelt würde. Da keine gegenteilige Äußerung vorliegt, nehmen wir aus diesem Grunde daher an, daß Sie es möglicherweise vorziehen werden, das sudetendeutsche Problem in Form einer direkten Gebietsübertragung und als einen Sonderfall zu behandeln.

3. Die zu übertragenden Gebiete würden wahrscheinlich Gebiete mit über 50 Prozent deutschen Einwohnern enthalten müssen. Wir hoffen jedoch, auf dem Verhandlungswege Bestimmungen für Grenzberichtigungen durch irgendeine internationale Körperschaft mit einem tschechischen Vertreter in allen Fällen zu vereinbaren, in denen die Umstände es notwendig machen. Wir glauben, daß die Übertragung kleinerer Gebiete auf Grund eines höheren Prozentsatzes die Frage nicht lösen würde.

4. Die vorerwähnte internationale Körperschaft könnte ebenfalls mit Fragen eines eventuellen Bevölkerungsaustausches auf Grund des Optionsrechts innerhalb einer zu bestimmenden Frist beauftragt werden.

5. Wir erkennen an, daß die tschechoslowakische Regierung, wenn sie bereit ist, an den vorgeschlagenen Maßnahmen mitzuwirken, das Recht hat, gewisse Zusicherungen hinsichtlich ihrer zukünftigen Sicherheit zu verlangen.

6. Demgemäß würde die Kgl. Britische Regierung zu einem Beitrag zur Befriedung Europas bereit sein, indem sie einer internationalen Garantie der neuen Grenzen des tschechoslowakischen Staates gegen einen nichtprovozierten Angriff beitritt. Eine der Hauptbedingungen einer solchen Garantie wäre die Sicherung der Unabhängigkeit der Tschechoslowakei durch eine allgemeine Garantie gegen einen nicht provozierten Angriff an Stelle der bestehenden Verträge mit ihren Gegenseitigkeitsverpflichtungen militärischen Charakters.

7. Sowohl die französische als auch die britische Regierung erkennen die Größe des Opfers an, das auf diese Weise von der tschechoslowakischen Regierung für die Sache des Friedens verlangt wird. Da aber diese Sache sowohl wie für Europa im allgemeinen als auch für die Tschechoslowakei selbst gemeinsame Bedeutung hat, haben sie es für ihre Pflicht gehalten, die zur Aufrechterhaltung des Friedens wesentlichen Bedingungen gemeinsam in freimütiger Weise darzustellen.

8. Der Premierminister muß seine Besprechungen mit Herrn Hitler spätestens am Mittwoch, oder, wenn möglich, früher, wieder auf-nehmen. Wir bitten Sie daher um eine so frühzeitige Antwort wie möglich.

Siehe auch:

Quelle:

  1. Michael Freund
    Weltgeschichte der Gegenwart in Dokumenten (1), S. 154f
nach oben
© Jürgen Langowski 2024
Impressum | Datenschutz