18.03.1939
Chamberlain protestiert gegen die Zerschlagung der Rest-Tschechei
[Auszug. Die Rede wurde am 18.03.1939 in der "Times" veröffentlicht.]
Was ist aus der Erklärung ,keine weiteren territorialen Bestrebungen', was aus der Versicherung ,wir wollen keine Tschechen im Reich haben' geworden? Welche Achtung ist dem Grundsatz der Selbstbestimmung zuteil geworden, über den sich Herr Hitler so leidenschaftlich mit mir in Berchtesgaden stritt, als er die Abtrennung des Sudetenlandes von der Tschechoslowakei und seine Einverleibung in das deutsche Reich forderte?
Jetzt erklärt man uns, daß diese Gebietsergreifung infolge von Unruhen in der Tschechoslowakei erforderlich wurden. Man erzählt uns, daß die Verkündung dieses neuen deutschen Protektorats gegen den Willen seiner Einwohner durch Unruhen unvermeidlich gemacht worden sei, die den Frieden und die Sicherheit seines mächtigen Nachbarn bedroht hätten. Wenn es zu Unruhen gekommen ist, wurden sie dann nicht von außen her geschürt? Und kann irgendjemand außerhalb Deutschlands ernsthaft der Ansicht sein, daß solche Unruhen eine Gefahr für jenes große Land hätten bedeuten können und daß sie eine Berechtigung für das, was sich ereignet hat, abgeben? Wird da in unseren Köpfen nicht unvermeidlich die Frage aufgeworfen, welcher Verlaß auf irgendwelche anderen Versicherungen aus der gleichen Quelle ist, wenn es so leicht ist, gute Gründe zur Außerachtlassung von Versicherungen zu finden, die so feierlich und so oft gegeben wurden?
Es gibt noch eine Reihe weiterer Fragen, die unvermeidlich in unseren und in den Gedanken anderer, vielleicht sogar in Deutschland selbst, auftauchen. Deutschland hat unter seinem gegenwärtigen Regime der Welt eine Reihe unangenehmer Überraschungen bereitet: Das Rheinland, der österreichische Anschluß, die Abtrennung des Sudetenlandes - alle diese Vorkommnisse haben die öffentliche Meinung der ganzen Welt verletzt und beleidigt. Welche und wie viele Anstände wir aber auch an den in jedem dieser Fälle angewendeten Methoden hätten nehmen können, jedenfalls ließ sich auf Grund der Rassenzugehörigkeit oder gerechter Ansprüche, denen zu lange Widerstand geleistet worden war, etwas zugunsten einer notwendigen Änderung der bestehenden Lage sagen.
Die Ereignisse aber, die im Laufe dieser Woche unter völliger Mißachtung der durch die deutsche Regierung selbst niedergelegten Grundsätze Platz gegriffen haben, scheinen mir in eine andere Klasse zu fallen und müssen uns alle veranlassen, uns eine Frage vorzulegen: Geht ein altes Abenteuer zu Ende oder fängt ein neues an? Ist es der letzte Angriff auf einen kleinen Staat oder werden ihm weitere folgen? Ist dies tatsächlich ein Schritt in der Richtung, die Welt durch Gewalt beherrschen zu wollen?
Und in der Tat, angesichts der Lehren der Geschichte, die alle lesen können, erscheint es unglaublich, daß uns eine solche Herausforderung zuteil werden sollte. Ich fühle mich verpflichtet zu erklären ... , daß kein größerer Irrtum begangen werden könnte, als anzunehmen, daß unser Volk, weil es den Krieg für eine sinnlose und grausame Angelegenheit hält, soviel von seinem Selbstbewußtsein eingebüßt habe, um nicht alles in seiner Kraft stehende zu tun, eine solche Herausforderung, sollte sie jemals erfolgen, zurückzuweisen. Für diese Erklärung finde ich - davon bin ich überzeugt - nicht nur die Unterstützung, die volle Zustimmung und das Vertrauen meiner Landsleute, sondern auch des ganzen britischen Empires und aller anderen Staaten, die wohl den Frieden, aber noch mehr die Freiheit zu schätzen wissen.